So überraschend, wie ich Jessie nach einem Urlaub gefragt habe, so spontan kam der Trip nach Georgien auch für mich. Eine Freundin hatte mich gefragt, ob ich nicht Lust auf die Fashion Week in Tbilisi (deutsch: Tiflis) hätte. Die hatte ich! Jessie meinte: Machs! Und so haben meine Freundin und ich in einer Kurzschlussreaktion einfach knapp zwei Wochen vor Abreise auf den jetzt-buchen-Button geklickt: Tbilisi Fashion Week, here we come!
Spätestens seit der gebürtige Georgier Demna Gvasalia, Kreativdirektor bei Balenciaga und Vetements, zum Design-Superstar avancierte, interessiert sich auch die Fashion-Branche für die jungen Kreativen aus dem Land zwischen dem Kaukasus und dem Schwarzen Meer. Zwei Mal im Jahr lädt Modeexpertin Sofia Tchkonia Journalisten, Blogger und Fotografen aus der ganzen Welt zur Mercedes-Benz Fashion Week Tbilisi ein – und das Interesse wird von Mal zu Mal größer.
Der aufmerksame Journelles-Leser weiß, dass ich bereits Anfang des Jahres in meinem Artikel „Was passiert 2019? 4 Entwicklungen in der Modebranche, die uns ins neue Jahr begleiten“ davon gesprochen habe, dass es um die georgische Fashion Week noch lauter werden würde. Jetzt knapp vier Monate später war ich also da: Georgien, endlich! Noch nie hatte mich ein Trip so beeindruckt, nachdenklich und ehrfürchtig hinterlassen wie die 5-tägige Reise inklusive Fashion Week in Tiflis.
So war die Mercedes-Benz Fashion Week Tbilisi:
Starten wir die georgische Modewoche doch mal mit einem kleinen Fakt: Keine der Modenschauen startete pünktlich, wirklich keine. Mit mindestens einer halben bis sogar ganzen Stunde Verspätung begannen die Präsentationen der georgischen Designer. Dabei fanden die meisten Schauen in der Tiefgarage des Museum of Fine Arts statt. Gestört hat es wohl niemanden – und wir hatten am Ende der Fashion Week auch den Dreh raus und sind prinzipiell immer fünfzehn Minuten später gekommen.
Situationist
Schaut euch bitte die Location für die Show von Situationist an! Wahnsinn, oder? „Stonhenge – The chronicle of georgia“ ist ein Denkmal, auf dem sich auf den Säulen der Steine eine Zeitleiste Georgiens spiegelt. Von hier aus hat man außerdem auch eine herrliche Aussicht auf Tiflis. Ich habe in meinem recht kurzen Fashion-Week-Dasein keine coolere Location gesehen, die mich so sprachlos gemacht hat.
Irakli Rusadze und Davit Giorgadze haben ihr Label 2015 gegründet und es in Windeseile geschafft, sich einen festen Platz sowohl in der Schedule als auch in den Herzen der Besucher sowie jungen Promis wie Bella Hadid zu sichern. Woran genau das liegt, ist leicht zu sagen. Die beiden Designer entwerfen Kleidung im Post-Soviet-Stil, die vor allem Demna-Gvasalia-Fans gefallen dürften. Und nicht nur ihnen: In manchen Looks sehe ich zum Teil Bottega Veneta wieder, das auch als das neue, alte Celine gefeiert wird.
Situationist findet ihr auch bereits auf Farfetch:
Lado Bokuchava
Lado Bokuchava leitete früher das georgische Stricklabel Atelier Kikala und zählt heute zu den bekanntesten Designern aus Georgien. In seiner aktuellen Kollektion sorgt er für eine gute Mischung aus perfekten Schnitten und raffinierten Details: Er spielt mit der Asymmetrie, mit vielen Falten, Überlänge, Knotendetails oder Bändern. Aber schaut einfach selbst!
Eloshi
Die Kollektion von Eloshi mochte ich sehr: verspielte Blusen, hinreißende Kleider aus gemusterten Stoffen mit Bindegürtel auf Taille gebracht, fließende Maxikleider im knalligen Rot und eine karierte Hose samt passendem Mantel, gekrönt von braunen Overknee-Boots oder spitzen Pumps. Erinnert ja schon ein klitzekleines bisschen an Isabel Marant, oder?
Djaba Diassamidze
Es war nicht zu übersehen und überhören, Djaba Diassamidze war das Highlight vieler Georgier. Ich kann es leider nicht verstehen, denn ich fand die Designs nicht wirklich gut. Die Kollektion sollte eine Hommage an Karl Lagerfeld und Chanel sein, leider waren viele Teile nur eine fast exakte Chanel-Kopie in schlechter Qualität. Die Musikauswahl war ebenfalls schwierig. Zu Beginn lief klassische Musik, dann ein 80’s-Discosong und zum Schluss der Hochzeitsmarsch, bei dem die Models mitten auf dem Laufsteg plötzlich verwirrt waren und stehen blieben.
Aber: Die Location im Café Littera war ein Traum. Wir waren einen Tag später nochmal dort, um im Garten einen Kaffee zu trinken. Kann ich sehr empfehlen!
Tamara Kopaliani
Ihre zweite Kollektion auf der Fashion Week wurde zum Teil mit Standing Ovations nach dem Finale belohnt. Kein Wunder, denn alleine die Location am „Freedom Square“ war schön: Die Aussicht auf Tiflis mit einem Wasserbecken in der Mitte ließ die Entwürfe des Labels noch schöner wirken. Tamara Kopaliani hatte Glück, den Tag zuvor hatte es noch ohne Pause geschüttet.
In der Kollektion gab es wirklich keine Verzierung, die es nicht gab: Rüschen, zarte Prints, Spitze, Cut-outs, Knöpfe, Satin – je mehr, desto besser. Was all die Kleider dabei einte, war eine moderne Asymmetrie und ein Vintage angehauchter Look.
Maturelli
Interessant ist es zu beobachten, wie mit dem Thema Nachhaltigkeit in Georgien umgegangen wird. Das ist meine prägendste Erinnerung an diese Reise: Die Designerin des Labels Maturelli, Mariam, hat mich nachhaltig sehr positiv beeindruckt und fasziniert. Sie hat uns in ihr Atelier geladen und sich die Zeit genommen, mit uns über ihre Kollektion, ihre Herangehensweise an die Mode und Nachhaltigkeit zu sprechen.
Denn das Label präsentierte diese Saison erstmals eine Kollektion, die nur aus Reststoffen und defekten Stoffen aus großen Fabriken in Italien besteht. Von nun an kann sich jede Kundin aus den Stoffresten ein individuelles Teil zusammenstellen; Mariam lässt es dann im Atelier für sie anfertigen.
Ich habe in unserem Gespräch vieles erfahren: Zum Beispiel, dass die Luftverschmutzung in Georgien besonders hoch ist. Darauf hatte Mariam bereits in vergangenen Kollektionen aufmerksam gemacht. Die Abgase in Tiflis befinden sich größtenteils bis zu 1,20 Meter über dem Boden, dadurch sind vor allem Kinder von den Schadstoffen betroffen. Je häufiger man sich mit jungen Kreativen in Georgien unterhalten hat, desto mehr hat sich herauskristallisiert, dass bei den jüngeren Generationen gerade ein Umdenken in Bezug auf unsere Umwelt stattfindet. Weiter so!
Aleksandre Akhalkatsishvili
Auch nach vier Tagen Modewahnsinn in Tiflis und einer Menge Input gehört das Label zu einem meiner Favoriten. Schuld sind die unglaublich raffinierten und unbeschwerten Entwürfe des georgischen Designers. Sei es ein Trenchcoat, Kleid oder eine Hose – jedes Teil hat ein besonderes Detail an sich und wird mit georgischen Traditionen verbunden. Wer einen Statement-Mantel à la Alexandre Akhalkatsishvili trägt, der muss sich um den Rest des Outfits kaum noch Gedanken machen.
Bessarion
In eine ähnliche Richtung geht auch die nächste Kollektion: Das Finale der Fashion Week war die Show von Bessarion. Das Label wurde 2009 von Bessarion Gvarmardze gegründet, der sowas wie der It-Boy der coolen kommerziellen Mode in Tiflis ist. Er hat weltweit viele prominente Fans, die Leute kennen seinen Namen und tragen gerne seine Entwürfe. Als Designer und DJ hat Bessarion den Ruf, der Alexander Wang aus Tiflis zu sein. Schaut euch das nebenstehende Bild an, dann wisst ihr, was gemeint ist.
Die Show, die in einer alten Fabrik stattfand, hat ihn bestimmt nicht wenig gekostet; leider konnte ich mich kaum auf die Kollektion konzentrieren, weil die Musik und der Bass so laut waren, dass ich mir die gesamte Show über die Ohren zuhalten musste. Einige Zuschauer mussten die Modenschau sogar währenddessen verlassen.
Nichts desto trotz bringen Bessarions skulpturale Schnitte und monochrome Farbpalette auf den Punkt, was die georgische Fashion Week zu einer Bereicherung des internationalen Modegeschehens macht.
0711 Tbilisi
Jippieh, noch eine Bestätigung für mehr Perlenhandtaschen! Von dem Taschenlabel 0711 Tbilisi habe ich bereits vor einigen Monaten hier geschwärmt. Daher habe ich mich ganz besonders gefreut, die Designs des Labels mal live zu begutachten. Ins Augen fallen nicht nur die großen Perlen, sondern auch die Elemente der reichen Stricktradition des Landes. Superhübsch!
Wer mal in Tiflis sein sollte, empfehle ich dem Concept Store der Gründerinnen Nino Eliava und Ani Mokia, Moreislove, einen Besuch abzustatten. Zwischen Labels wie Nanushka, Jacquemus oder sogar Wald Berlin finden sich auch georgische Designer wie Alexandre Akhalkatsishvili in dem Geschäft.
Giorgi Wazowski
Was vor einigen Jahren noch eher zaghaft begann, ist in dieser Saison voll salonfähig: Siegelringe. Der Stylist Giorgi Wazowski hat nun erstmals eine eigene Schmuckkollektion herausgebracht, in der er unter anderem Siegelringe zu Statement-Ohrringen umfunktioniert hat.
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4 Antworten auf „Die Highlights der Tbilisi Fashion Week“
Toller Fashion Week Review. Ich hätte im Traum nicht gedacht, das Georgien so viel Mode-Potenzial bietet. Mir hat vor allem, die Designstücke von Maturelli sehr gut gefallen. Nicht alleine wegen dem Schnitt, sondern deren Einstellung. Ein Vorbild auch für große Modehäuser im Hinblick auf Kultur und Nachhaltigkeit.
Huhu Petra, vielen lieben Dank! Es war ein ganz toller Trip und die kreative Szene ist sehr sehr spannend. Liebe Grüße, Alex
Danke für den tollen Bericht. Tiflis, irgendwie ein Berlin des Ostens und auch wieder nicht – steht schon lang auf meiner Liste, jetzt umso mehr!
Kann ich nur dir wärmstens empfehlen! Ein sehr spannendes und vor allem schönes Land mit so vielen unterschiedlichen kulturellen Einflüssen 🙂 Liebst, Alex