Corona-Krise: Chance oder Existenzbedrohung? Diese 3 Gründerinnen erzählen ihre ganz persönliche Story!

Malaika Raiss, Kerstin Görling von Hayashi und Selina Thuir berichten

Viele Freiberufler und Selbstständige leiden aktuell ganz besonders unter den wirtschaftlichen Folgen der weltweiten Corona-Krise. Also haben wir im Rahmen unserer Initiative #StayHomeStaySocial drei Gründerinnen nach ihrem derzeitigen Berufsalltag gefragt. Wie ist die aktuelle Lage? Wie geht es für sie weiter? Welche Lösungsmöglichkeiten bieten sich an und vor allem, wie kann man sich gegenseitig in diesen schwierigen Zeiten unterstützen? Kerstin Görling, Inhaberin des Frankfurter Stores Hayashi (hier gehts zu Kerstins Closet Diary), Malaika Raiss, Modedesignerin ihres gleichnamigen Labels, und Selina Thuir, Gründerin der Berliner PR-Agentur Agenthuir erzählen von ihren Hoffnungen für die Modewelt von morgen…

Kerstin Görling, Inhaberin von Hayashi

„Seit einer Woche merke ich, dass weniger Kunden in die Stadt und meinen Laden kommen. Am letzten Samstag wurde klar, dass wir mit einem immensen Umsatzrückgang rechnen müssen. Ob gekauft wird, hängt momentan viel mit Glück zusammen. Planen kann meiner Meinung nach niemand mehr. Das Problem daran sind unsere laufenden Kosten für die Ladenmiete und bereits angekommene Ware. Wir wissen nicht, ob wir die jemals verkaufen können.

Ich beschäftige zudem vier Festangestellte und zwei Aushilfen, deren Gehälter zusätzlich gezahlt werden müssen. Eine kurzfristige Lösung wäre es, einige von ihnen in den Urlaub zu schicken. Die Kosten bleiben dann aber trotzdem. Wenn die Situation mehrere Monate andauert, reichen meine Rücklagen dafür nicht ansatzweise. Außerdem ist gerade sehr viel Ware für den Sommer angekommen. Im März mache ich sonst den meisten Umsatz. Hinzukommt, dass bereits bestellte Kollektionen, die im Mai geliefert werden sollten, im Voraus von mir bezahlt werden mussten. Finanziell gesehen lässt sich das nicht “mal eben” wegstecken. Die Menschen setzen ganz klar Prioritäten, und dazu gehört eben nicht der Kauf von Luxusmode. 

Plus: Wer Kinder hat, muss gerade viel organisieren. Einige meiner Kundinnen sind Ärztinnen und momentan extrem gestresst. Mode ist schlichtweg ein Luxusgut, was man nicht zum (über-)leben braucht, das wird in solchen Zeiten besonders deutlich.

Trotzdem können wir uns bei Hayashi keine Pause leisten. Wir müssen weitermachen und versuchen, unsere Kundinnen gezielt über Social Media zu erreichen. Ansonsten können wir unser Sortiment auch über Farfetch zur Verfügung stellen. Man muss dazu sagen, dass es ein Trugschluss ist, dass online weiterhin gut verkauft wird. Alle halten ihr Geld zusammen. Mein Plan ist es, mich auf den schlimmsten Fall vorzubereiten und Woche für Woche Absprache mit meinen Mitarbeitern zu halten. Die Situation ist schlichtweg existenzbedrohend.

Auch die Labels sind davon betroffen, wenn wir die nächste Auslieferung in zwei Monaten nicht bezahlen können, vorausgesetzt, das ist überhaupt möglich. Zusammenhalt und Offenheit ist gefragt. Man muss sich gegenseitig stärken und überlegen, welche finanziellen Möglichkeiten es gibt. Sollte es einen kompletten Lockdown geben, kann die Ware wahrscheinlich nicht mehr komplett verkauft werden. Reduzierungen sind auch keine Lösung, obwohl man die Saison damit eventuell noch ein wenig verlängern könnte. Meiner Meinung nach ist jetzt die Unterstützung des Staates gefragt. Vor einer Woche hatte man noch keine Angst, jetzt hat sich das geändert. Man wird vernünftiger und ich finde es ehrlich gesagt verantwortungslos, wenn nicht alle an einem Strang ziehen.

Solidarität untereinander ist eine schöne Vorstellung, aber für manche bedeutet die Corona-Krise auch die Existenz.

Für unsere Generation ist es die erste große Krise, über die viele am Anfang noch gelacht haben. Mittlerweile hat man den Ernst der Lage erkannt. Umso wichtiger ist deshalb eine einheitliche Regelung, zum Beispiel ein zweiwöchiger Lockdown, seitens der Regierung. Solidarität untereinander ist eine schöne Vorstellung, aber für manche bedeutet die Corona-Krise auch die Existenz. Aber vielleicht muss das System erst zusammenbrechen, um Veränderung möglich zu machen. Ich bin jedenfalls froh, nicht so viele Mitarbeiter zu haben und mich in Sachen Kinderbetreuung aufteilen zu können. Ich kann nur hoffen, dass das Ganze schnell vorbei ist.“

Malaika Raiss, Modedesignerin

„Die Corona-Krise hat sich auf alle Zweige meines Unternehmens ausgewirkt. Seit Wochen bekommen wir keine Ware mehr aus Italien und können dementsprechend nicht liefern. Außerdem haben unsere japanischen Kunden ihre Bestellungen storniert. In Sachen Cash-flow haben wir deshalb gerade ein großes Problem. 

Inzwischen hat sich das Ganze aber nochmal verschärft. Normalerweise ist der März ein sehr guter Monat im Onlinegeschäft. Letzte Woche war unser Umsatz gleich null. Sämtliche Kooperationen und Messen wurden ebenfalls gestrichen. Uns fehlen also jegliche Einnahmen. Hinzukommt, dass wir in unserem Team zwei Verdachtsfälle haben, was den Stillstand für unser Büro bedeutete. Ich bin auch aus meinem Brasilien-Urlaub eher zurückgekommen, weil ich Angst hatte, nicht mehr ausreisen zu können. Den Betrieb haben wir mittlerweile ins Home Office verlegt. Wir sind dafür gut aufgestellt, da wir generell viel digital arbeiten. Auch Angestellte mit Kindern, die eh zuhause bleiben müssen, haben so weniger Schwierigkeiten. Nähmaschinen wurden daheim eingerichtet und auch ein Chatroom.

Ich betrachte die Corona-Krise als Chance, um das Bewusstsein für mehr Gleichberechtigung und faire Löhne zu schärfen.

Dass nicht nur große Unternehmen unter der Krise leiden, muss noch deutlicher gemacht werden. Meiner Meinung nach wäre es besser, wenn man Projekte verschiebt und weiter daran arbeitet, als alles komplett abzusagen. Gerade kleine Brands brauchen jetzt die Unterstützung. Um weiterhin Einnahmen zu generieren, bieten wir ab sofort auch Gutscheine an. Wir wollen positiv bleiben und die Zeit nutzen, um noch mehr Interaktion mit unseren Kundinnen und der Gemeinschaft zu betreiben. Alles auszusetzen macht das Problem noch schlimmer. Die Wirtschaft muss am laufen bleiben, damit Arbeitsplätze gesichert sind. 

Wir sind ein achtköpfiges Team bei Malaika Raiss und ich habe nur bedingt Rücklagen, da wir ohne Investoren arbeiten. Wir finanzieren uns rein durch den Verkauf der Kollektion. Einen Monat kann ich überbrücken, aber danach müssen wir uns etwas überlegen. Keine Steuer oder Sozialversicherung zahlen zu müssen wäre eine Möglichkeit der staatlichen Regulierung. Unsere Lieferanten fragen auch, ob noch weiter Bestellungen kommen. Das ist insofern dramatisch, als das wir für unsere Stoffe und Schmuckkollektionen mit kleinen Familienunternehmen zusammenarbeiten, die ebenfalls auf den An- bzw. Verkauf angewiesen sind.

Ich betrachte die Corona-Krise als Chance, um das Bewusstsein für mehr Gleichberechtigung und faire Löhne zu schärfen. Konsumenten und die Modebranche allgemein neigen nämlich schnell zur Vergesslichkeit. Man weiß, dass sich was ändern muss, fällt aber immer wieder in alte Muster zurück. Fast Fashion ist einfach keine Option mehr, das sollte endlich klar sein. 

Mein Tipp für Unternehmen, Selbstständige und Freiberufler ist, Projekte weiter anzubieten und die Dinge nicht komplett auf Eis zu legen. Man sollte sich untereinander stärker vernetzen und überlegen: Wer braucht was? Wo wird am dringendsten Unterstützung benötigt? Wir merken ja jetzt, wie gut wir digital arbeiten können. Vielleicht verschafft uns das in Zukunft sogar mehr Zeit. Ich habe aktuell viel weniger Termine oder Reisen und deshalb mehr Zeit, um kreativ zu sein und an der Kollektion zu arbeiten. 

Für das Label nutzen wir den Moment, um über unseren Social Media Account mit unseren Kundinnen zu kommunizieren und zu fragen: Was wünschen sich die Menschen? Welche Trends entstehen gerade? Was gefällt ihnen an Malaika Raiss und was können wir unserer Community spannendes während der Krise anbieten?“

Selina Thuir, Gründerin von Agenthuir

„Momentan brauch es viel Flexibilität und Kreativität, um auf die täglichen Veränderungen reagieren zu können und konzeptionelle und strategische PR- und Marketinganpassungen durchzuführen. Jeder Kunde unserer Agenthuir ist unterschiedlich betroffen. Gemeinsam finden wir neue Wege und Ansätze, werden kreativ und nutzen die besondere Situation als Möglichkeit etwas anders zu machen.

Um ein paar Beispiele herauszugreifen: Statt dem geplanten Launch-Event von PHYNE zur Vorstellung der neuen nachhaltigen Veredelungstechnologien für Stoffe wird diese nun online kommuniziert. SILFIR wird seine derzeitige Pre-Sale Kampagne der limitierten Black Berlin Uniform verlängern, um weiterhin die Chance zu geben, in ein zirkuläres Produkt zu investieren. Und das Label SABINNA wird die ausgebuchten Workshops digital über Livestreams durchführen.

Als verlängerter Arm der Inhouse-Marketingabteilung der Brands stehen wir gerade jetzt vermehrt im engen Austausch mit jedem unserer Kunden und versuchen bestmögliche Lösungen für die unterschiedlichen Thematiken zu finden. Wir arbeiten intensiv an der Anpassung der aufgesetzten PR- und Marketingmaßnahmen, insbesondere für die Aktivitäten in den nächsten Wochen. Durch die global verordnete Entzerrung und Verlangsamung verlegen wir vieles weiter nach hinten und planen in flexiblen Zeitfenstern. Da wir in einem kleinen, eingespielten Team arbeiten und durch Freelancer unterstützt werden, können wir unseren Kunden wie bisher zur Seite stehen und dementsprechend agieren. Offene Gespräche wie man mit der Ungewissheit über den Verlauf der Situation umgeht und wie man die Freiberufler unterstützen kann, stehen für mich gerade an oberster Stelle.

In meinen Augen zwingt uns die Natur in die Knie, um wieder mehr bei unseren Familien und uns selbst zu sein.

Ebenso wichtig ist natürlich die Erhaltung der Gesundheit und des Allgemeinwohls. Deshalb haben wir uns letzte Woche entschieden, alles ins Home Office zu verlegen. Wichtig ist uns, eine Struktur zu finden und diese aufrecht zu erhalten. Wie bisher gibt es feste Arbeitszeiten, die Verantwortungsbereiche sind verteilt und durch regelmäßige Telefonate und digitale Tools, wie etwa Google Drive, Google Hangout, Zoom und Slack up halten wir uns untereinander und mit den Kunden auf dem Laufenden.

Was die Finanzen betrifft, habe ich für Notfallsituationen ein Polster angelegt. Natürlich hoffe ich, dass wir gemeinsam mit unseren Kunden*innen die kommenden Wochen und Monate gut überstehen, und besonders loyal und ehrlich miteinander umgehen.

Ich sehe eine intensive Kommunikation und einen kühlen Kopf zu Kunden*innen und Mitarbeitern als Schlüsselelement für den Aufbau von Vertrauen, Zuversicht und einen erfolgreichen Ausgang der Situation. Nicht der Ungewissheit die Oberhand geben, sondern sich bestmöglich auf die Situation einlassen und sie als Chance sehen kreativ zu werden. So entsteht Vertrauen, nicht nur in sich selbst, sondern auch bei Mitarbeitern und Kunden.

Dabei spielen auch eine tägliche Team-Routine und wöchentliche Kundentelefonate eine wichtige Rolle. Besonders hat mich das rasante Vorgehen von Sabinna Rachimova, Gründerin des gleichnamigen Labels SABINNA imponiert. Sie hat beispielsweise einen detaillierten Framework aufgestellt, zweimal täglich für 15 Minuten kurze Check-ins geplant und am FreitagnachmittagsDigital Drinks über Google Hangout für das gesamte Team einberufen. So wird es für jede einzelne Person weniger einsam und zusätzlich hat man eine Routine, die jetzt besonders wichtig ist. So lernen wir durch einen intensiven Austausch trotz räumlicher Trennung voneinander und miteinander, um Prozesse zu integrieren und zu adaptieren.

Es wäre wirklich wünschenswert, wenn die Menschheit durch die uns aufgezwungene Entschleunigung achtsamer wird und der Ausbruch der Corona-Pandemie den Wandel hin zu nachhaltigerem und bewusstem Konsum beschleunigt.

In meinen Augen zwingt uns die Natur in die Knie, um wieder mehr bei unseren Familien und uns selbst zu sein. Die Situation zeigt, dass drastische globale Bewegungen machbar sind, und wir diese zum Wohle des Klimawandels schnellstmöglich umsetzen sollten. So können wir eine Welt erschaffen und erhalten, in der unsere Nachkommen gerne leben wollen würden.

Ich selbst beschäftige mich schon seit mehreren Jahren mit einem bewussten und minimalistischen Lebensstil. Ich versuche so nachhaltig wie möglich zu konsumieren. Der Druck für Unternehmen wird stärker und rückt die Dringlichkeit von mehr Nachhaltigkeit immer mehr in den Fokus der Gesellschaft. Eine bewusste Wertschätzung und nachhaltige Produktionsprozesse sowie eine faire Bezahlung sollte überall die Norm sein. Das ist mir besonders wichtig, insbesondere im Austausch mit den Medien. Ich hoffe, dass Menschen auch außerhalb der Mode- und PR-Branche erkennen, dass das Wir für jeden mehr Freude, Glückseligkeit und Wärme bereitet als das isolierte Alleinsein.“

Bilder via Malaika Raiss, Selina Thuir, Instagram

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5 Antworten auf „Corona-Krise: Chance oder Existenzbedrohung? Diese 3 Gründerinnen erzählen ihre ganz persönliche Story!“

Ich habe einen Onlineshop für Parfum. Mein Umsatz hat sich halbiert in den letzten Tagen und ist heute gleich null. Ich habe zwar keine Angestellten, aber auch meine Kosten, Steuern, Sozialversicherungsbeiträge, Lebenshaltungskosten, Bankverbindlichkeiten durch Wareneinkauf laufen weiter. Ich kann dies kurzfristig überbrücken, aber wer weiß, wie lange es dauert, bis sich so etwas wie Normalität wieder einstellt. Mir stellt sich auch die Frage, wie sich z. B. Studenten jetzt finanzieren, deren 450€ Jobs wegfallen. Nicht jeder hat die Möglichkeit finanziell von den Eltern in dieser Zeit unterstützt zu werden. Auch ihre Kosten für Semestergebühren, Wohnung, etc. laufen weiter. Ich denke, dass niemand überblicken kann, wohin uns diese Kriese führt. Sicher ist, dass alles bisher vorhandene neu überdacht werden muss. Ich wünsche uns allen ein umsichtiges Handeln. Hier wird sich auch zeigen, welche Unternehmen jetzt ihre moralische Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern wahrnehmen und ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellen. Wir sitzen alle in einem Boot und nur zusammen sind wir stark. Diese Ausnahmesituation ist auch eine Chance für Menschlichkeit. In diesem Sinne seit achtsam mit euch und anderen. Marion

Als ich heute die Stories mit den Hayashi Girls gesehen habe brach mir fast das Herz. Man sieht jetzt schon wie schlimm es die kleinen Stores treffen wird. Ich hoffe der Onlineshop steht bald zur Verfügung damit man Kerstin so unterstützen kann.

❤️

Ich wünsche uns allen, als kleine Einzelunternehmer*innen, gerade Unterstützung, flexible Lösungen, Zusammenhalt und Aufmerksamkeit. DANKE für euren Artikel, alleine dadurch wird Aufmerksamkeit geschaffen für uns und das ist wichtig! Auch unsere Branche, ich bin Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in eigener Praxis und somit Selbstständig, mit immensen Fixkosten und Vorauszahlungen im Monat und gerade fast keinem Cash-flow, weil die Auszahlungen immer Quartalsweise versetzt kommen und die Familien natürlich zu Hause bleiben, was auch gut ist. Aber mit kleinen Kindern ist die Videosprechstunde keine Alternative, somit bleibt die Situation auch für uns existenzbedrohend.
Ich bete und hoffe auf eine Lösung staatlicherseits für uns alle. Ihr seid tolle Frauen, wir sind tolle Frauen, DANKE für euren Support!

Bliebt gesund und munter,
Annalena

Liebe Annalena,

vielen lieben Dank für deinen aufmerksamen Kommentar! Wir hoffen auch sehr, dass sich Lösungen finden und wir alle gemeinsam gut und vor allem gesund durch die Krise kommen. Danke für dein Kompliment, was wir nur so zurückgeben können.

Liebe Grüße aus der Redaktion,
Katharina

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Journelles ist das grösste unabhängige Mode-Blogazine in Deutschland und wurde 2012 von Jessie Weiß gegründet. Die 37-jährige Unternehmerin legte 2007 den Grundstein für die Modeblogosphäre mit dem Netz-Urgestein LesMads und arbeitet seither als Journalistin, Moderatorin und Kreativdirektorin.