Claire, Florence, Cinama: Sie alle waren einst Opfer, gezeichnet vom Krieg, von sexueller Gewalt, Armut oder Unterdrückung. Heute ernähren diese Frauen ihre Familie, haben eventuell ein kleines Unternehmen aufgebaut und tragen einen großen Beitrag zur Stabilisierung und zum Wachstum ihres Landes bei. Ermöglicht hat ihnen das die Organisation Women for Women International, die seit 1993 mehr als 479.000 traumatisierten und benachteiligten Frauen in acht von Krieg und Konflikten betroffenen Ländern geholfen haben.
Und die Deutsch-Inderin Preeti Malkani setzt sich dafür ein, noch mehr Frauen zu helfen. Sie ist Gründerin von Women for Women International in Deutschland. Im Rahmen unseres Interviews spricht Preeti über ihr Herzensprojekt.
Liebe Preeti, kannst du uns ein wenig erzählen, was du machst?
Ich würde meine Tätigkeit als Change Inspiratorin bezeichnen – getreu dem klugen Satz eines unbekannten Autors: „Don’t expect to see a change if you don’t make one“.
Ein schönes Zitat. Du hast die britische Hilfsorganisation Women for Women International in Deutschland gegründet. Gab es diesen einen Moment, in dem du dir gesagt hast: Moment mal, so kann es nicht weitergehen, ich muss irgendwas unternehmen?
Ich hatte in einem britischen Magazin einen Artikel über eine Afghanin und Nigerianerin gelesen, die in ihren Heimatländern durch die bewaffneten Konflikte Traumatisches erlebt hatten. Mit Unterstützung von WfWI konnten sich beide eine neue Existenz aufbauen. Das hat mich zutiefst beeindruckt. Und ich habe mich gefragt, warum in Deutschland keiner diese Organisation kennt. Das wollte ich unbedingt ändern.
Und wie bist du genau aktiv geworden?
Direkt nachdem ich den Artikel gelesen hatte, griff ich zum Telefon und habe das London Office kontaktiert und meine ehrenamtliche Unterstützung angeboten. Nachdem ich die Arbeit näher kennengelernt und mit der Direktorin des UK Office einige Länder bereist hatte, entstand die Idee, auch eins in Deutschland zu gründen. Dies haben wir dann mit sieben Gründungsmitgliedern im vergangenen November in die Tat umgesetzt.
Hattest du dir im Zuge der Gründung irgendwann die Sinnfrage "Was kann ich schon als Einzelner bewirken" gestellt?
In Anbetracht weltpolitischer Entwicklungen kann dieses Gefühl natürlich aufkommen. Der Gedanke, dass wir als moderne und fortschrittliche Gesellschaft im 21. Jahrhundert in der Lage sein sollten, bestimmte Themen „in den Griff“ zu bekommen, beschäftigt mich allerdings schon sehr lang.
Bei dem intelligenten und holistischen Konzept von WfWI war mir als „Marketingfrau“ klar, dass genau diese „jeder von uns kann sehr viel bewegen“-Botschaft sehr real und einfach zu transportieren ist. Mit unserem Sponsor-a-Sister-Programm nehmen wir direkten Einfluss auf das Leben von Frauen und tragen für mehr Stabilität und Wohlstand bei.
Diese politische Wachheit scheint sich mittlerweile auch in deiner Familie widerzuspiegeln.
Das sehe ich auch so. Meine Familie und Freunde waren zwar verwundert, wie man einfach in Großbritannien anrufen kann und dann einige Zeit später eine neue internationale Organisation in Deutschland entstehen lässt, aber genauso begeistert. Freunde haben sofort eine Sister unterstützt, mein Mann und sein Partner haben beispielsweise WfWI ein Office gesponsert, die Commerzbank HH unsere Möbel, Farrow und Ball die Wandfarbe. Ohne die Unterstützung könnte ich mich nicht so in den Aufbau der Organisation „reinstürzen“
Unsere Kinder identifizieren sich auch mit der Arbeit, unterstützen eine Sister in Afghanistan und sind sogar zu Botschaftern an ihren Schulen geworden – dies macht das Thema für sie noch greifbarer. Mir ist wichtig, dass Kinder früh lernen, etwas zurückzugeben – vor allem wenn man auf der Sonnenseite geboren wurde.
Vorab hast du die Werbebranche hinter dir gelassen und dich selbstständig gemacht.
Richtig, ich habe früh erkannt, dass die klassische Werbebranche nur schwer mit Familie zu vereinbaren ist. Und habe oft genug miterlebt, wie es berufstätigen Müttern – oftmals auch noch alleinerziehend – unnötig schwer gemacht wurde, Beruf und Kinder unter einen Hut zu bekommen. Außerdem wurde sehr viel Energie für die Firmenpolitik aufgewendet – ich wollte meine Energie anders einsetzen und selbstbestimmter sein. Daher habe ich mich circa zwei Jahre vor der Familienplanung selbständig gemacht und konnte in den ersten Jahren, als die Kinder noch kleiner waren, gut von meinem Home Office arbeiten.
Fassen wir diese Entwicklung mal zusammen: Du hast im Marketing gearbeitet, dich danach selbstständig gemacht, du hast zwei Kinder bekommen, wurdest Botschafterin für Women for Women in Deutschland und hast begonnen, dich für Frauen in aller Welt zu engagieren.
Zusammenhalt unter Frauen ist heute wichtiger denn je, weil sich die Welt insgesamt in einem großen Umschwung befindet. Und weil wir jetzt mit modernen Kommunikationsmitteln wie Social Media die Chance haben, uns auszutauschen und etwas zu bewegen. Gesellschaftliche Veränderungen für Frauen, ob es sich um das Wahlrecht oder aktuell um Equal Pay handelt, sind in unserer Geschichte immer von Frauen ausgegangen und wird es auch in Zukunft.
Wie hast du dein Engagement mit deinem Job und deiner Familie vereinbart?
In der Tat ist das nicht immer einfach. Ich habe im letzten Jahr so manches Mal ganz schön jongliert und ohne das Verständnis und den Support meiner Familie wäre mein ehrenamtliches Engagement für WfWI nicht möglich. Auch meine Reisen nach Ruanda und insbesondere in den Irak haben viel emotionales Verständnis erfordert. Aber alle profitieren am Ende von der Auseinandersetzung mit dieser Arbeit und wir reden zuhause viel darüber.
Gab es eine Geschichte, die dich auf diesen Reisen besonders berührt hat?
Ich habe so viele gehört, dass es schwierig ist, die eine herauszupicken. Claire habe ich in Ruanda kennengelernt: Sie musste als kleines Mädchen miterleben, wie ihre gesamte Familie vor ihren Augen getötet wurde. Oder Florence, die über viele Wochen von Soldaten vergewaltigt wurde, nachdem ihr Mann verschleppt und getötet wurde. Sie konnte fliehen, wurde dann aber von ihrer Verwandtschaft verstoßen und als Fluch für die Familie gesehen. Sie sollte daraufhin getötet werden.
Auf meiner letzten Reise in die kurdische Region im Nordirak waren wir geschockt, dass alle Programmteilnehmerinnen Opfer genitaler Verstümmelung waren. Sie berichteten von ihren traumatischen Erlebnissen, die sie im Alter von acht bis zehn Jahren erfahren mussten. Hier klären wir beispielsweise Frauen darüber auf, dass GMT gesetzwidrig und nicht in der Religion verankert ist. Sie erlernen Tools, wie sie sich schützend vor ihre Töchter stellen können.
Noch mal konkret: Wofür setzt ihr euch mit Women for Women International genau ein?
Wir arbeiten mit den am stärksten sozial ausgegrenzten Frauen in von Krieg und Konflikten betroffenen Ländern zusammen. Wir haben in acht Ländern über 25 Jahre lang direkt mit über 500.000 weiblichen Kriegsüberlebenden zusammengearbeitet. Frauen müssen in der Lage sein, einen echten Zugang zu Menschenrechten zu haben und sich wirtschaftlich, sozial und politisch zu beteiligen. Dies bringt nicht nur Vorteile für sie als Einzelpersonen, sondern auch greifbare und nachhaltige Vorteile für ihre Familien, Gemeinden und Länder. Women for Women International basiert auf der Überzeugung, dass stärkere Frauen stärkere Nationen bilden.
Wir bieten ein zwölfmonatiges Programm an: Man übernimmt die Patenschaft für eine Frau und unterstützt ein Jahr lang ihre Ausbildung mit 29 Euro im Monat. Wir nennen das „Sponsor a Sister“.
Was lernt eine Frau während dieses Ausbildungsjahres?
Teilnehmerinnen lernen ihre gesetzlichen Rechte kennen, sie erhalten eine Ausbildung zu Gesundheitsfragen, Rechnen, Buchführung und Sparen; ein Kompetenztraining für Entscheidungsfindungen, zu Verhandlungstechniken und zur Bürgerbeteiligung. Ihnen werden Berufskenntnisse vermittelt und sie bekommen Zugang zu einkommenssichernden Arbeiten, wo sie die gelernten Fähigkeiten anwenden und so zu ökonomischer Stabilität gelangen können. Nachhaltige Veränderungen für Frauen und ihre Gemeinschaften sind erreichbar, wenn es Frauen gut geht.
Wo genau engagiert ihr euch?
Wir konzentrieren uns auf Gebiete, in den bis vor kurzem offener Krieg herrschte. Momentan engagieren wir uns in acht Ländern: Afghanistan, Bosnien und Herzegowina, Demokratische Republik Kongo, Irak, Kosovo, Autonome Region Kurdistan, Nigerien und Ruanda. Neu dazu kommen jetzt ein Projekt zur Unterstützung von Rohinga Frauen und in Yemen.
Warum zielt Women for Women International speziell auf die Schaffung von Allianzen zwischen Frauen und Frauen ab?
Weil Frauen von kriegerischen Auseinandersetzungen weitaus stärker betroffen sind als Männer. Frauen Gewalt anzutun, gilt als besonders effektive Waffe, um eine Gesellschaft zu demoralisieren. Schaut man sich den Zustand der Welt mit seinen vielen brutalen, bewaffneten Konflikten an und der beispiellosen Gewalt gegenüber Frauen, so war es nie wichtiger, diese Frauen durch Ausbildung und Zuversicht zu stärken. Will man ein Land stabilisieren, ist es wichtig in Frauen zu investieren. Denn sie sorgen dafür, dass Familien und Gesellschaften funktionieren.
Warum ist das so?
Zahlreiche Studien haben außerdem erwiesen, dass Frauen circa 80 Prozent ihres Einkommens in die Familie und Gesellschaft zurück investieren, sie bilden Allianzen und bauen kleine gemeinsame Business auf, sie stärken sich gegenseitig und geben ihr Wissen an andere Frauen weiter.
Wie überprüft ihr eure Fortschritte?
Wenn Frauen das Programm abgeschlossen haben, bleiben wir zwei Jahre lang mit ihnen in Kontakt, um unsere qualitativen Ergebnisse zu erfassen, damit wir die Auswirkungen nicht nur beim Abschluss messen können. Wir fördern auch einige Frauen weiterhin mit Fortbildungen, zum Beispiel bei unserem Change-Agent-Programm. Frauen, die an Führungsaufgaben interessiert sind – unsere „Change Agents“ – werden zu den Stimmen anderer Frauen in ihrer Gemeinschaft. Sie identifizieren die schlimmsten Umstände, die Frauen zurückhalten, sich zu entwickeln, und arbeiten an Lösungen für Veränderungen.
In Ruanda hatte ich die Chance auch Teilnehmerinnen kennenzulernen, die vor acht und zehn Jahren unser Programm abgeschlossen hatten. Ich war beeindruckt von dem, was sie für sich und ihre Familien geschaffen hatten. Sie wurden von Opfern des Krieges zu Vorbildern ihrer Communities.
Eine unabhängig durchgeführte Studie von dem Wirtschaftsprüfung- und Beratungsunternehmen KPMG hat ermittelt, dass die WfWI-Programme einen erheblichen positiven Einfluss auf die finanzielle Situation, Gesundheit und Gender-Empowerment – nicht nur auf die Frauen hatte, die das Programm absolvierten, sondern in starkem Maße auch auf andere Mitglieder ihrer Gemeinden.
Kann ich zu der Frau, die ich fördere, Kontakt aufnehmen?
Das ist nicht nur möglich, sondern auch ausdrücklich gewünscht! Der direkte Kontakt ist sehr wertvoll. Zu wissen, dass da draußen in der Welt jemand ist, der wirklich an mich glaubt, bedeutet den Frauen viel. Bei meinen Besuchen in Ruanda, Irak und Bosnien hatte jede Frau, die ich kennenlernte, auch nach vielen Jahren noch die Briefe ihrer Sister – das war sehr berührend. Nach jedem Abschluss eines Moduls werden unsere Sponsoren über den Verlauf der Ausbildung ihrer Sister informiert.
Meinst du, eine Veränderung ist ohne Hilfe von Männern überhaupt möglich?
Wir gehen in die Dörfer immer so tief rein, dass wir auch die Männer abholen, denn ohne deren Einbindung geht es überhaupt nicht. Dafür haben wir das sogenannte „Men’s Engagement Programm“ entwickelt und bilden einige von ihnen zu Coaches aus. Wir geben ihnen eine Vorreiterrolle, in der sie den anderen Männern Respekt vor Frauen vermitteln und wie wichtig es ist, sie zu unterstützen. Nur wenn verstanden wird, dass Frauen den Rückhalt der Gesellschaft bilden, können auch Männer ein besseres Leben führen.
Die Töchter und Söhne unserer Teilnehmerinnen erkennen schnell, welche Rolle eine Frau in ihrer Gesellschaft einnehmen kann. Die Mütter werden zu Vorbildern und erlangen neuen Respekt. Auf meinen Reisen waren die Kinder oft bei den Gesprächen mit unseren Programm-Absolventinnen dabei. Es ist schön zu sehen, welchen Effekt unserer Arbeit auch auf die nächste Generation hat.
Wird es irgendwann schwierig, die Organisation zu führen und sich gleichzeitig emotional nicht zu sehr zu belasten?
An unserer Arbeit liebe ich vor allem den „Positivity-Ansatz“. Wir schauen nach vorn, geben den Frauen eine neue Perspektive, haben einen positiven Einfluss auf ihr Leben und können schon nach einem Jahr den direkten Impact sehen. Das inspiriert mich sehr!
Natürlich musste ich mich insbesondere auf meinen Reisen mit ganz schrecklichen, unmenschlichen Themen auseinandersetzen, die man nicht so schnell verdaut. Umso mehr beeindruckt mich die Stärke und Energie der Frauen, denen ich begegnet bin. In die Augen unserer „Sisters“ zu blicken und die Dankbarkeit zu spüren, die Chance auf ein neues Leben bekommen zu haben, ist die größte Inspiration überhaupt.
Das zeichnet deine Arbeit aus: Dass du dich ernsthaft fragst, wie du Menschen helfen kannst. In diesem Sinne: Was hast du noch vor?
Ich hatte mir ein „Mission 100“-Ziel bis zum Jahresende 2018 gesetzt. Heißt: Mit Hilfe von 100 deutschen Sponsoren 100 Sisters mit unserem Sponsor-a-Sister-Programm zu unterstützen. Die Gründung hat sich um zwei Monate verzögert und dennoch haben wir am 2. Januar 2019 dieses Zwischenziel erreicht. Nun haben wir uns bis zum Jahresende ein neues Ziel gesetzt: „Mission 1.000“!
Vielen lieben Dank für das spannende Interview, liebe Preeti!
Unterstütze eine Sister! So gehts:
- Melde dich hier an und entscheide, wie viele Sisters du unterstützen möchtest. Pro Monat spendest du für insgesamt ein Jahr 29 Euro an deine Sister.
- Innerhalb von vier bis sechs Wochen nach der Anmeldung bekommst du eine Sister zugeteilt und Informationen und Fotos über diese per Post zugeschickt. Jetzt kannst du mit ihr in Kontakt treten!
- Deine Sister absolviert über das Jahr verteilt die vier Module Gesundheit, Rechte, Kompetenzen und potentiellen Unterstützungsnetzwerke, um ihr Leben nachhaltig zu verändern und zu verbessern. Alle drei Monate bekommst du eine Mail, die dich über die Fortschritte deiner Sister informiert.
- Im Laufe des Jahres haben du und deine Sister die Möglichkeit, einander Briefe zu schreiben und euch besser kennenzulernen. So kannst du deiner Sister Hoffnung schenken und ihr helfen ihr Trauma zu überwinden.