Die Gründerin von The Curl Talk Project, eine Londoner Fotoausstellung und Initiative, die Frauen mit texturierten und lockigen Haaren mittels persönlichen Porträts und Geschichten zelebriert, will der Diskriminierung gegenüber Afro-Haar ein Ende setzen. Mit uns sprach sie exklusiv über ihre eigenen Erfahrungen und die bis heute existierenden gesellschaftlichen Vorurteile.
In einem offiziellen Statement zu deiner ersten Londoner Ausstellung im März hieß es: „Frauen aus aller Welt mit unterschiedlichen ethnischen und kulturellen Hintergründen enthüllen, was es bedeutet, in Sachen Haare nicht dem Standard zu entsprechen. Wie sieht das heutige Schönheitsideal aus und inwiefern unterscheidet es sich von deiner Vorstellung?
Ich habe kein besonderes Schönheitsideal. Ich würde mir allerdings viel mehr Diversität in den Medien wünschen. Mehr Vielfalt und Authentizität hinsichtlich verschiedener Körpertypen, Hautfarben und Haaren zu zeigen, wäre mein Ideal. Es ist nach wie vor viel wahrscheinlicher, eine weiße, schlanke Frau mit glatten Haaren in der Werbung zu sehen. Das ändert sich natürlich, aber wir haben noch einen langen Weg vor uns, was eine gleichwertige Repräsentanz angeht.
Wie geht die Gesellschaft mit lockigem Haar, insbesondere Afro-Haar, um?
Die Gesellschaft hat immer noch ein großes Problem, wenn es um Afro-Haare geht. Sie sind Teil unseres kulturellen Erbes. Dennoch fühlen sich viele Menschen im Alltag dazu berechtigt, dass das, was natürlich aus unseren Köpfen wächst, als problematisch zu identifizieren. Im Vereinigten Königreich kommt es vor, dass Kinder wie etwa Ruby Williams aufgrund ihrer Haare von der Schule nach Hause geschickt werden.
Für solche Fälle gibt es in mehreren US-Bundesstaaten bereits das CROWN-Gesetz, das die Diskriminierung aufgrund natürlicher Hairstyles verbietet. Es muss also noch eine ganze Menge passieren bis Afro-Haare als normal angesehen werden.
Welche Erfahrungen hast du als Kind mit deinen Haaren gemacht?
Ganz ehrlich? Ich habe meine Locken gehasst. Ich wollte unbedingt glatte Haare haben, weil alle Mädchen in den Zeitschriften oder im Fernsehen so aussahen. Paris, wo ich aufgewachsen bin, ist sehr multikulturell. Nicht repräsentiert zu werden war für mich unverständlich. Es hat mein Selbstvertrauen von Klein auf sehr stark beeinflusst.
Wie kamst du darauf, The Curl Talk Project zu entwickeln?
Die Naturhaar-Bewegung hat das Ziel, den Austausch von Schönheitstipps und Beauty-Routinen zu fördern. Außerdem soll damit erreicht werden, dass man sich selbst wieder lieben lernt. Das finde ich großartig. Darüber hinaus hatte ich Schwierigkeiten, Projekte oder Information zu persönlichen Erfahrungen mit lockigem bzw. Afro-Haar zu finden.
Die meisten von uns haben unterziehen sich beim Friseur extrem aufwändigen Glättungsverfahren, aber ich konnte keine Erfahrungsberichte von Frauen finden, die erzählen, warum sie sich und ihren Locken das antaten. Ich war überzeugt, dass die Prozedur nicht nur ästhetische oder praktische Gründe hatte. Glattes Haar ist eben der Standard. Die meisten Friseure sind dementsprechend ausgebildet und stellen das Schönheitsideal auch nicht in Frage. Wenn sich das nicht tun, ändert sich nichts. Die Techniken bleiben dieselben und die Welt wird nicht diverser aussehen.
Sowohl meine schwarze Mutter als auch ich hatten Probleme, unser Haar in der heutigen Gesellschaft zu verstehen. Wir entsprechen einfach nicht dem Standard. Es musste also noch viel mehr Frauen auf der ganzen Welt ähnlich gehen. Die Problematik zu erforschen und eben diesen Persönlichkeiten eine Stimme zu geben, war die treibende Kraft hinter The Curl Talk Project.
Wie hast du die Frauen für deine Porträtserie ausgewählt?
Wer dabei sein möchte, muss sein Haar einfach nur natürlich tragen. Es gibt keine anderen Kriterien für die Teilnahme. Ich versuche jedoch, möglichst viele Frauen verschiedener Ethnien, sozialer Schichten und Altesrgruppen in die Reihe zu integrieren.
Die Naturhaar-Bewegung ermutigt Frauen, ihre lockigen Haare zu zelebrieren. Warum ist das so wichtig, insbesondere für dunkelhäutige Frauen?
Ich glaube, die Gemeinschaft hat einen immensen Einfluss auf jeden von uns. Sie zeigt uns, dass wir über die Norm hinausgehen und das Bild in den Medien neu interpretieren sollten. Die Botschaft ist klar: Wer sich nicht repräsentiert sieht, muss das nicht hinnehmen. Wir müssen Eigeninitiative zeigen und auf uns aufmerksam machen; die Leute wachrütteln. Es kann und muss mehr getan werden. Ich habe The Curl Talk Project ins Leben gerufen, um eine Diskussion über die Erfahrungen von Frauen mit lockigen Haaren ins Rollen zu bringen. Es ist wichtig, zu erkennen, dass die Thematik über Beauty-Tipps und Schönheits-Routinen hinausgeht.
Können Haare auch immer ein persönliches und politisches Statement setzen?
Haare sind Teil unserer Identität und somit ein persönliches Statement. Unsere Frisur drückt zudem oft aus, wie wir uns fühlen und welchen Stil wir haben. Und ja, Haare können auch ein politisches Statement sein, weil sie unsere Wahrnehmung in der Gesellschaft verändern können. Wenn sich eine Frau dazu entschließt, ihren Kopf zu rasieren, wird ihre Weiblichkeit in Frage gestellt. Das liegt daran, dass diese oft mit einer langen Mähne assoziiert wird.
Das Gleiche gilt für eine schwarze Frau, die ihr Haar ganz natürlich trägt. Die Gesellschaft hat uns eingeprägt, dass es nicht der Norm entspricht und deshalb auch nicht gut aussieht. Indem man sich dagegen wehrt, lehnt man sich gegen die Masse auf und betritt somit die politische Ebene.
Was bedeutet es für dich, dein Haar natürlich zu tragen?
Mittlerweile liebe ich meine Locken und ich habe Spaß mit ihnen. Ich probiere verschiedene Techniken aus und entdecke verschiedene Frisuren. Mein Haartyp ist glücklicherweise sehr vielseitig. Es ist wichtig, Spaß zu haben, aber man sollte auch die Pflege nicht vernachlässigen.
Was sollten dunkelhäutige Frauen deiner Meinung nach über ihre Haare denken?
Dass sie schön sind und so viel Liebe verdienen wie jeder andere Haartyp. Wir haben viel durchgemacht und tun dies auch weiterhin, also lasst uns gemeinsam lernen. Lassen wir all die negativen Botschaften hinter uns, an denen wir viel zu lange festgehalten haben. Unser Haar ist unglaublich vielseitig und verdient es, gesehen, diskutiert und repräsentiert zu werden!
Welche Botschaft möchtest du mit The Curl Talk Project vermitteln?
The Curl Talk Project soll Frauen und Mädchen erkennen lassen, dass sie mit ihren Fragen und Problemen nicht alleine sind. Der Aufklärungsprozess kann sehr mühsam sein, aber sie sollen wissen, dass es ihrer Freundin, Nachbarin oder Kollegin ähnlich geht und dass wir nur in der Gemeinschaft stark sind.
CROWN-Act:
Create a Respectful and Open Workspace for Natural Hair, zu deutsch: Einen respektvollen und offenen Arbeitsplatz für natürliches Haar schaffen. Kalifornien war der erste US-Bundesstaat, der im Juli 2019 die Diskriminierung aufgrund natürlicher und kulturell geprägter Hairstyles verboten hat.
Ein ähnliches Gesetz zuvor im Februar 2019 in New York beschlossen. Bis heute haben sich dem CROWN-Act fünf weitere der insgesamt 50 US-Bundesstaaten anschlossen: Washington, Colorado, Virginia, Maryland, New Jersey.
Bild im Header via Ornella Kolle.
Einleitung und Umsetzung von Katharina Hogenkamp.
Eine Antwort auf „„Unser Haar ist unglaublich vielseitig und verdient es, gesehen, diskutiert und repräsentiert zu werden!“ – Wie die Französin Johanna Yaovi die Debatte über Afro-Haare verändert“
Der Artikel hat mich überrascht, weil ich etwas anderes erwartet habe? Zumindest habe ich über Haare wie das Haar von Johanna noch nie ‚problematisch‘ gedacht, sondern eher: WOW! Was daran liegen mag, dass meine Haare wirklich fein sind. Und umgekehrt ist es eben auch so: Hast du feines Haar und schaust dir an, mit welchen Haaren Frisuren für feines Haar vorgestellt werden, lachst du darüber.
Aber, um zum Artikel zurückzukehren: Ich finde es super, wie Johanna das zum Thema gemacht hat!
Habt einen schönen Tag,
Nicole