Die Zukunft ist weiblich – zumindest darf man in der Kunstwelt darauf hoffen. Das Museum Tate Britain in London hat ab April alle Werke der männlichen Künstler der letzten 60 Jahre in der Abteilung für britische Kunst abgehangen – und stellt für ein Jahr nur noch Künstlerinnen aus.
Solche radikalen Ansätze gibt es auch in der deutschen Kulturszene immer öfter: Am Staatstheater Karlsruhe zum Beispiel will Schauspieldirektorin Anna Bergmann in ihrer ersten Spielzeit 2018/2019 nur Frauen als Regisseurinnen beschäftigen. Und zum Start des nach wie vor männerdominierten Gallery-Weekend in Berlin (unter den teilnehmenden Künstlern sind lediglich 30 Prozent Frauen) zeigt die Pop-up-Plattform art perspectives mit der Ausstellung Foreign Affairs eine Auswahl aufstrebender, internationaler Künstlerinnen und bietet Künstlern, Sammlern und Akteuren aus den Bereichen Mode, Technologie und Entrepreneurship eine Plattform. Dazu widmet sich ein Rahmenprogramm aus Panel Talks und Workshops dem Thema „Women in Art“.
Begleitet wird die Ausstellung von einer Sonderausgabe des Kunstmagazins „Die Kunst – Women in Art“, das ab dem 18. April einen Monat lang dem Magazin Capital beiliegt. Im Heft geht es unter anderem um Frauen in der Kunst, Zugänge zur Kunst und zum Kunstsammeln, die AutorInnen blicken hinter die Kulissen der Kunst-Kollektionen großer Unternehmen und beschreiben die Bedeutung von Netzwerken in der Kunstwelt.
Als besonderes Schmankerl gibt es hier exklusiv einen Auszug aus der Ausgabe: Das Editorial mit fünf spannenden weiblichen Künstlerinnen, deren Arbeiten man jetzt unbedingt kennen sollte. Geschrieben von Sara Karayusuf Isfahani und Lorena Juan.
Den Kunstkanon neu kalibrieren
Wie das Künstlerkollektiv Guerilla Girls bereits in den 1980er-Jahren kritisch anmerkte: In den Museen der Welt treffen wir auf Frauen vor allem in Gestalt weiblicher Musen, als weibliche Künstler sind sie dagegen kaum präsent. Daran hat sich bis heute nur wenig geändert. Lediglich drei Frauen finden sich unter den 30 nach Auktionsumsätzen weltweit höchstgehandelten Künstlern, wie die Plattform Artprice für das Jahr 2017 ermittelte.
Allerdings gilt dies nicht unbedingt für die jüngere Generation. Hier scheint sich der berüchtigte Gender Gap langsam zu schließen. Im Jahr 2018 hingegen waren im Artprice-Bericht unter den Top-5-Künstlern bereits drei Frauen vertreten. Die Anerkennung für Künstlerinnen steigt, ebenso das Preisniveau ihrer Werke. Erleben wir also doch einen Umschwung?
Es besteht kein Zweifel: „Women in Art“ ist längst zum geflügelten Wort geworden. Die Frage ist nur: Inwieweit führen die aktuelle Stimmung, der vielerorts gezeigte gute Wille und die Absichtserklärungen tatsächlich zu einem nachhaltigen Paradigmenwechsel?
Auf Initiative von in|pact-Mitgründerin Sara Karayusuf-Isfahani und co-kuratiert von Lorena Juan aus dem Team der Berliner Sammlung Boros, stellt die Ausstellung Foreign Affairs fünf aufstrebende, internationale Künstlerinnen und deren Positionen vor. Ein Bindeglied in diesen sehr unterschiedlichen Zugängen zur Kunst ist die geteilte Erfahrung der Internationalität: alle Künstlerinnen leben und arbeiten außerhalb ihrer Heimatländer, für alle spielt Berlin eine wichtige Rolle in ihren Karrieren.
Beatriz Morales (Mexiko), Fette Sans (Frankreich), Leila Pazooki (Iran), Tomoko Mori (Japan) und Romana Londi (Italien) – Künstlerinnen, die allesamt international aktiv und teilweise bereits auf großen Kunstmessen vertreten sind – repräsentieren ein breites Spektrum an Medien, künstlerischen Sichtweisen und konzeptionellen Umsetzungen. Politischer Subtext findet dabei in dieser Auswahl ebenso Platz wie das ästhetisierende Spiel mit konsequenter Abstraktion von Farben und Materialien.
Foreign Affairs will einen Perspektivwechsel ermöglichen. Es soll darum gehen, den Kunstkanon neu zu kalibrieren und den Markt, der nach wie vor von einem Überschuss an Männern geprägt ist, in eine neue Balance zu bringen, eine Balance, die vor allem auf Qualität und Substanz fußt, anstatt in strukturellen Diskursen zu Fragen der Gleichberechtigung verhaftet zu bleiben.
Die Ausstellung eröffnet am 25. April, als erste Veranstaltung von art perspectives, einer neuen Modern-Culture-Plattform. Ziel des neuen Formats ist es, Kunst jenseits des klassischen Galeriemodells zu präsentieren. Art perspectives bietet vielfältige Möglichkeiten zum Austausch zwischen aufstrebenden und etablierten Künstlern, erfahrenen Sammlern und interessierten, vielleicht auch erstmaligen, Kunstkäufern und Akteuren aus den Bereichen Mode, Technologie und Entrepreneurship.
BEATRIZ MORALES – MALEREI, INSTALLATION
Beatriz Morales wurde 1981 in Mexiko geboren. Nachdem sie ihr Heimatland 2001 verließ, um Modedesign zu studieren, entschied sie sich kurze Zeit später doch für die Kunst. Heute lebt und arbeitet die Autodidaktin in Berlin, stellt auf der ganzen Welt aus und war bereits auf Kunstmessen und in Galerien in Europa und Nordamerika vertreten.
Im Januar 2020 widmet das Museum für Moderne Kunst in Merida, Mexiko, der Künstlerin eine große Ausstellung. Beatriz Morales hat sich einen Namen als Künstlerin gemacht, deren Arbeiten in der Tradition der amerikanischen Farbfeldmalerei des abstrakten Expressionismus stehen.
Ein immer wiederkehrendes Thema in ihren vielschichtigen Malereien ist die Suche nach Identität, ein emotional aufgeladener Akt, der sich auch in ihrer künstlerischen Technik ausdrückt: Morales zerkratzt, zerreißt und durchbohrt die monochromen Farboberflächen ihrer Leinwände, als wolle sie schauen, was sich hinter der Fassade des Bildes verbirgt. Der Drang, Kunst zu produzieren, sagt sie, sei schon immer Teil ihrer DNA gewesen. Von der Malerei sei sie bis heute deshalb so fasziniert, weil man sich ihr mit ganz einfachen Materialien – mit Pinsel, Farbe, Leinwand – widmen und trotzdem relevante Ergebnisse erzielen kann.
Obwohl Malerei eine der ältesten und traditionellsten Kunstformen ist, findet Morales es gerade spannend, immer wieder neue Wege zu finden, wie man eine Leinwand bearbeiten kann. Eine der größten Herausforderungen für sie? Tiefe durch Farbe in einem begrenzten und nur zweidimensionalen Rahmen zu erzeugen.
FETTE SANS – FOTOGRAFIE, VIDEO, PERFORMANCE
Sie stellt Dinge auf den Kopf, entwickelt zwanghafte Rituale und spekulative Erzählungen, um später Bilder und Videos davon zu produzieren. Müsste sie ihre Arbeit in drei Worten beschreiben, dann so: „Hold dysfunction (with) tenderness“. Die in Frankreich geborene Künstlerin Fette Sans ist vielen vielleicht aus der Performance „If I can’t sleep at night is it because I am awake in somebody else’s room?“ im Berliner Hotel Zoo bekannt, für die sie fünf Monate in einem Hotelzimmer lebte. Zuletzt konnten die Besucher des Gallery Weekends 2018 in Berlin ihre Performances sehen. Den Beginn ihrer künstlerischen Karriere markieren Fotografien, für die Fette Sans die Kamera besonders gern auf Maskulinität richtete. Aber sie will nicht nur Bilder für sich sprechen lassen, sondern selbst gesehen und gehört werden. In ihren performativen Arbeiten setzt die Künstlerin deshalb ihren Körper als Werkzeug ein. Zurzeit etabliert Fette Sans zusammen mit einer Sammlerin ein neues Bezahlmodell für Kunst. Einmal pro Woche schickt sie ihr einen Videoausschnitt, für den sie entlohnt wird. Erst am Ende des Jahres erhält die Sammlerin die vollständige Arbeit, die dann etwa 500 Minuten lang sein wird.
LEILA PAZOOKI – SKULPTUR, INSTALLATION, MALEREI
Leila Pazooki wurde 1977 in Teheran, Iran, geboren und schloss dort ein Malereistudium an der Kunstakademie ab, bevor sie 2001 nach Deutschland kam. Nach einer kurzen Station in München studierte sie zunächst in Berlin an der Kunsthochschule Weißensee Bildhauerei. An der Universität der Künste erhielt sie anschließend im Studiengang „Art in Context“ ihren Master. Pazooki kritisiert in ihren multimedialen Arbeiten auf ironische Weise immer wieder den eurozentristischen Blick auf die Kunstgeschichte, wie auch in ihrer gefeierten Neonlichtinstallation Moments of Glory von 2010, in der sie genau dieses Wertesystem der westlichen Kunstwelt hinterfragt. Auf ein Medium festlegen will sich Pazooki aber nicht. Sie arbeitet mit verschiedenen Klangelementen, Objekten oder Wörtern, die sie im Alltag aufgeschnappt hat, und fügt sie zu neuen Formationen zusammen. Ein großer Teil ihrer Arbeit besteht aus dem intensiven Studium von Materialien und Formen – und irgendwo ist bei Pazooki meistens ein philosophischer, kultureller oder politischer Kommentar versteckt. Ihre multimedialen Arbeiten wurden bereits international in verschiedenen Solo- und Gruppenausstellungen von New York bis nach Indonesien gezeigt. Heute lebt und arbeitet die Künstlerin hauptsächlich in London.
TOMOKO MORI – MALEREI, INSTALLATION
Tomoko Mori hat in Tokyo Textildesign studiert und danach als Designerin gearbeitet. Ein wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeit bestand darin, Muster zu entwerfen, die sich in Stoffen lückenlos und unendlich wiederholen. In ihren Bildern hingegen will sie sich „mit einem einzigartigen Moment beschäftigen“, der ein unwiederholbares und in sich geschlossenes Eigenleben hat. Das sei laut Mori nur in einem begrenzten Rahmen möglich. Da für sie aber noch weitere Ebenen eine Rolle spielen, realisiert sie in ihren Ausstellungen immer wieder Rauminstallationen. „Hier tauchen Dinge auf, die nicht bewusst wahrgenommen werden, weil sie sich außerhalb des Fokus’ befinden“, erzählt Mori. In spannungsreichen Kompositionen und Anordnungen unternimmt sie auf diese Weise den Versuch, den begrenzten Bildraum ihrer Gemälde wieder zu erweitern – und kehrt auf gewisse Weise doch zu den unendlichen Mustern zurück, um mit dem Raum und den Bildern zu interagieren. Dafür nutzt sie neben der Malerei auch andere Medien. Urbane Inspiration für ihre Arbeit findet Tomoko Mori übrigens in Berlin, wo sie seit 2007 lebt.
ROMANA LONDI – MALEREI
In ihrer jüngsten Gemäldeserie hat Romana Londi ein einzigartiges, lichtempfindliches Farbmedium entwickelt, das ihren Werken ermöglicht, die fortlaufenden und natürlichen Veränderungen der Umwelt zu verkörpern. Ihre Bilder sind zugleich durch ihre Existenz im Raum als auch durch die Zeit definiert. Für Londi ist „ein Bild nicht einfach eine tote Oberfläche, sondern kann sich durch äußere Einflüsse bewegen und selbst zu einer Performance werden. Dieser Prozess ist zwar nur schwer oder gar nicht formal darzustellen, aber gerade deshalb so spannend.“ Sie selbst bezeichnet sich gern als Malerin, lässt sich aber von vielen anderen Ausdrucksformen inspirieren. Die Malerei ist für sie wie Alchemie: eine sinnliche Erfahrung, in der eine sehr enge Beziehung zwischen den eigenen Gedanken und der materiellen Außenwelt hergestellt wird. Romana Londi ist 33 Jahre alt und wurde in Rom geboren. Nach einem Politikstudium in ihrer Heimatstadt ein Politikstudium zog sie nach London, um am Central Saint Martins College Kunst zu studieren. Es folgte ein Abschluss in Kunsttheorie an der University of East London. Heute unterhält die Künstlerin ein Atelier in London und ist erst kürzlich von einem Aufenthalt im Casa Wabi im mexikanischen Oaxaca zurückgekehrt.
CREDITS:
Sara Karayusuf Isfahani, Lorena Juan / Redaktion
Künstlerbiografien: Insa Grüning / Redaktion
Konzept & Produktion: Birgit Amelung / Photographer: Lydia Gorges /
Styling: Saskia Schmidt / Hair & Make Up: Natalia Vermeer
4 Antworten auf „Die Kunst – Women in Art und 5 internationale Künstlerinnen, die man jetzt kennen muss“
Content first! Kunst an diesem Ort zu finden – das ist so schön! Bitte mehr über Menschen mit Vorstellungskraft und Phantasie.
Ja, das sehe ich genauso! Gerne hier mehr Kunst 🙂
[…] wieder mehr Zeit abseits des Laptops verbracht. Wie viel es zu entdecken gibt, hat diese Woche Journelles hervorgehoben und fünf Künstlerinnen im Rahmen der Women in Art vorgestellt. Neidisch blicke ich […]
Schom mal von Zoe Byland gehört? Die macht ganz spezielle, sehr besondere Sachen!