Im zweiten Teil der Mode-Mythen haben wir die Experten zu der „Made in“-Kennzeichnung und Produkten aus Billiglohnländern befragt und erfahren, dass der Hinweis auf dem Etikett nicht den Ausschlag für einen Boykott geben muss. Was verhalten wir uns jetzt? Nicht an jedem Kleidungsstück baumelt ein Textilsiegel, geschweige denn will man jedes Mal recherchieren, ob der Hersteller soziale Standards und Ökologie berücksichtigt, bevor man ein Geschäft betritt. Ganz ehrlich: Wenn im November diese Kollektion in die Läden kommt, kaufe ich ohne zu checken, woher die Sachen stammen. Ich verlasse mich einfach auf die Schweden. Wir haken deshalb noch einmal nach: Ist andererseits Kleidung, die in der Europäischen Union produziert wurde, automatisch fair und sauber?
„Nein, leider nicht. ‚Made in’ gibt nur darüber Auskunft, in welchem Land der größte oder wichtigste Arbeitsschritt stattgefunden hat. Daher kann es sein, dass ein vermeintlich europäisches Produkt doch in einem Billiglohnland hergestellt wurde. Die textile Produktionskette ist so lang, so viele Unternehmen sind daran beteiligt, dass ein deutscher Händler oft noch nicht einmal weiß, wer seine Mode gefertigt hat. Wenn ein Produkt aber tatsächlich in Europa hergestellt wurde, dann nach geltendem EU-Recht, also sind zumindest Arbeitssicherheit, Arbeitszeiten und größtenteils auch Löhne gesetzlich geregelt.“ Heike Scheuer, Internationaler Verband der Naturtextilwirtschaft e.V.
„Es wäre sehr wünschenswert, wenn sich der deutsche Markt mehr auf europäische Produktionen einigen könnte, nicht nur aus logistischen Gründen, sondern, weil z.B. Polen Rumänien sehr gut Fachkräfte haben und sie von deutscher Seite intensiv unterstützt werden können! Da Polen und Rumänien Mitglieder der EU sind, müssen sie sich laut Statut an unsere Produktionsregeln halten – wehe, wenn nicht.“ Thomas Meyer zu Capellen, Prof. für Textilkunde, Akademie Mode und Design (AMD)
„Was den Arbeitsschutz angeht, hat die EU im Vergleich zu vielen asiatischen Ländern höhere Standards – das heißt aber nicht, dass es nicht auch hier Probleme gäbe. Wie erwähnt, findet die Textilherstellung in vielen Arbeitsschritten statt, die nicht zwangsweise auf ein Land reduziert sind. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte daher auf externe Zertifizierungen statt nur auf ‚Made in’ achten. Edith Gmeiner Fairtrade Deutschland
Ein glaubwürdiges „Made in“-Label ist Zukunftmusik. So lange das Europäische Parlament noch auf dem Thema herumkaut, könnte sich die Gleichgültig wieder breitmachen. Das glaube ich aber nicht, denn wir alle sind für das Thema neu sensibilisiert.
Menschenrechts-, Umwelt-Organisationen und Medien schauen genau hin: Journelles-Leserin Steffi hat auf die Berichte über Prato, 20 Kilometer von Florenz entfernt hingewiesen. Die zweitgrößte Stadt in der Toskana ist eine Hochburg der italienischen Textilindustrie. Laut des Bayerischen Rundfunks haben sich in den letzten Jahren dort 60.000 Chinesen angesiedelt, die unter dem Label „Made in Italy“-Kleidung von schlechter Qualität für Ultrabilligdiscounter produzieren – zu chinesischen Bedingungen. Die Hälfte sind Schwarzarbeiter, die ausgebeutet werden. Wie so etwas mitten in Europa geschehen kann hat Paul Kreiner vom Berliner Tagesspiegel für seine Reportage „Made in Italy“ – Der Etikettenschwindel“ recherchiert. Ein super Lese-Tipp, danke Steffi!
Außerdem lohnt ein Blick auf den „Detox Catwalk“ von Greenpeace. Die neue Plattform informiert darüber, welche Textilunternehmen führend in Sachen transparenter Lieferkette sind und dabei auf schädliche Chemikalien verzichten.
Fazit: Weder „Made in Italy“ noch „Made in Germany“ sind heutzutage einwandfreie Gütesiegel – zwar zuverlässiger als außerhalb der EU, aber doch noch mit grossem Verbesserungsbedürfnis.
3 Antworten auf „Mode-Mythen: „Produkte aus der EU kann man sorgenfrei kaufen““
Ich möchte an dieser Stelle auch noch auf das Buch/den Film „Gomorrha“ hinweisen – dort wird u.a. sehr schön das „Made in Italy“-Dilemma aufgezeigt.
„Anhand dieses Handlungsstranges zeigt der Film zum einen den gnadenlosen
und von der Camorra kontrollierten Konkurrenzkampf der
Schneiderwerkstätten um die Aufträge der berühmten Modehäuser, zum
anderen den Versuch chinesischer Textilproduzenten auf dem Markt für
Haute Couture Fuß zu fassen.“ (Wikipedia)
Erstmal: Ich finde die Themenwoche wirklich großartig.
Vor allem diesen Artikel finde ich persönlich sehr interessant, einfach aus dem Grund, dass ich neulich im Urban Outfitters stand und Sachen mit der Inschrift „Made in Romania“ gekauft habe und mich gefragt hatte, ob ein solches Produkt u.U. eine „bessere“ Alternative zum Rest darstellt, da die Produktionsstätte auf EU-Boden liegt.
Muss Malina Recht geben, bin auch total begeistert von der Themenwoche! Klasse, macht weiter so, das ist echt cool und interessant dass ein bisschen tiefer gegraben wird und man sich auch mal mit unbequemen Sachen auseinandersetzt! I like!