In Dänemark geboren und in Schweden aufgewachsen kann Anine Bing als echtes „Slash-Kid“ bezeichnet werden: Heute ist die 32-Jährige Bloggerin, Geschäftsfrau, Mutter, Sängerin und hauptberuflich Designerin. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Los Angeles, ihren Bilderbuchalltag verfolgen tagtäglich mehr als 233.000 Menschen auf instagram. 2011 gründete sie ihr gleichnamiges Label „Anine Bing“ und hat inzwischen mehr als 35 Mitarbeiter. Ihr Erfolgsrezept: Zunächst verkaufte sie saisonunabhängig nur online; produziert wird jeden Monat. Es gibt keine Messe-Termine, keine Print-Lookbooks. Das Geschäftsmodell der Zukunft?
Kein Wunder, dass klassische Ordermessen wie die Bread & Butter nicht mehr funktionieren. Der Konsument will eben nicht mehr nur zwei Mal im Jahr neue Mode kaufen: Sobald ein neuer Trend aufpoppt, muss er online sofort verfügbar sein. Bei Anine geht dieses Konzept dank starker Social Media Präsenz und guten Kontakten zu Bloggern wie Rumi Neely von Fashion Toast oder Sofi Fahrman von Sofis Snapshots auf. Mitte Februar eröffnet Anine Bing in New York auf der Bleecker Street, gern auch die „Marc Jacobs Street“ genannt, ihren zweiten Store nach Los Angeles. Fans ihrer Mode können sich dort mit Jeans (ab 199 US Dollar) oder einer Lederjacke (1.200 US Dollar) eindecken.
Während der Berlin Fashion Week habe ich Anine Bing im Hotel Adlon getroffen – eine gute Gelegenheit mit ihr über die Anfänge ihrer Karriere zu sprechen und welche Zukunftspläne sie für ihr Label schmiedet.
Du hast vor drei Jahren dein Label gegründet. Wie kam es dazu?
Ich habe mit 15 angefangen zu modeln und konnte die Modebranche somit jahrelang aus verschiedenen Blickwinkeln kennen lernen. Schon früh habe ich mich in die Idee verliebt, ein eigenes Label zu führen – und als ich das perfekte Paar Jeans einfach nicht finden konnte, habe ich mein eigenes Paar kreiert. Angefangen habe ich dann vor knapp drei Jahren ganz simpel mit einigen Jeans, einem T-Shirt und einer Lederjacke, die ich auf meiner Website gelauncht habe. Promotet habe ich das via instagram und Blog. Die ganzen Kontakte, die ich in der Modebranche bereits geknüpft hatte, waren dabei natürlich sehr hilfreich.
Das klingt so einfach! Wie und wo hast du deine ersten Kleidungsstücke produzieren lassen?
Alle meine Kleidungsstücke werden in der Türkei produziert und fast all meine Schuhe und der Schmuck in L.A. Ich kann mich ziemlich glücklich schätzen, weil mein Mann die Produktionsbranche gut kennt und bereits Kontakte in der Türkei hatte.
Ist dein Mann in dein Geschäft involviert, arbeitet ihr gemeinsam?
Genau, wir arbeiten zusammen. Er ist für die Business- und Produktionsangelegenheiten zuständig und ich kümmere mich um den kreativen Part. Wir steuern also beide genau das bei, was wir am besten können. Ich bin viel mit meinem Kreativ-Team beschäftigt, so dass wir nicht ständig Seite an Seite arbeiten müssen. Am Anfang war das anders und da sind wir auch mal aneinander geraten. Aber heute kennt jeder seine persönlichen Stärken gehört und darauf fokussieren wir uns.
Wie hättest du dein Label ohne instagram und ohne Blogs erfolgreich vermarktet?
Das ist eine ziemlich gute Frage, weil ich nie etwas in Richtung traditionelles Marketing gemacht habe. Meine Marke baut sich auf instagram und dem Blog auf. Für mich war Social Media immer nur von Vorteil.
Welche Rolle spielt der Standort Los Angeles, die Traumfabrik schlechthin, für dein Label? Ich bin früher oft nach L.A. gereist und habe mich sofort in die Stadt verliebt. Für mich war klar, dass ich eines Tages zurückkommen würde, um dort zu leben. L.A. ist eine so kreative und inspirierende Stadt, darum ist sie optimal für mich. Natürlich kann man von überall in der Welt aus arbeiten, aber für meinen Stil ist Los Angeles einfach der perfekte Ort zum Leben.
Wie wichtig ist es für dein Label, dass du jeden Tag etwas postest? Sehr wichtig. Ich poste etwa sechs Mal am Tag ein Foto im Abstand von einigen Stunden. Ich bemühe mich um einen guten Mix. Geplant ist das aber nicht, es soll spontan und im Hier und Jetzt wirken.
Du bist nicht nur Designerin, sondern hast auch zwei kleine Kinder. Auf instagram sieht man die beiden auch immer mal wieder auf Fotos. Trennst du zwischen der „privaten“ und der „öffentlichen“ Anine?
Ich bin so wahnsinnig stolz auf meine Kinder und sie sind ein so großer Teil meines Lebens. Darum teile ich auch gerne Momente mit ihnen über instagram. Natürlich zeige ich nicht alles von uns, aber hier und da ein Foto macht das Ganze sehr viel persönlicher und lustiger.
Anine bei unserem Interview im Adlon:
Wie schaffst du es, deine Familie und den Job unter einen Hut zu bekommen?
Es gehört sehr viel Planung dazu und ist sicher nicht immer einfach. Im Prinzip ist es so: Ich habe einerseits mein Geschäft und andererseits meine Familie, für mehr ist da nicht Platz. Sobald ich mit der Arbeit durch bin, mache ich mich auf den Weg zur Familie. Natürlich steht die Familie an erster Stelle und ich versuche immer, mir ein, zwei Tage zu nehmen, in denen ich von zuhause aus arbeite und mit meinen Kindern Zeit verbringen kann. Da geht um eine gute Balance. Als sie noch Babys waren, habe ich sie immer mit zu den Showrooms genommen.
Wer knipst eigentlich die ganzen Fotos von dir?
Momentan habe ich meine Schwester dabei. Sie hilft zuhause im Büro und begleitet mich manchmal zu Reisen. In L.A. habe ich auch einen Fotografen für meine Outfitbilder, manchmal übernimmt das aber auch mein Mann. Wir arbeiten ja zusammen, darum weiß er auch, wie wichtig die Fotos sind. Generell kommt es aber immer drauf an, um was für Bilder es geht.
Was sind wiederum die instagram-Accounts, die dich inspirieren?
Ich folge nur etwa 130 Accounts und viele davon sind meine Freunde. Die Schmuckdesignerin Jennifer Meyer Maguire zum Beispiel, sie hat einen tollen Stil und ist eine gute Freundin von mir. Außerdem natürlich Pernille und Sofi. Dann noch einige Modemagazine wie die Vogue. Und Betty Autiers Account! Den Stil von Maja finde ich auch ganz toll.
Außerdem bist du in dem Blog-Netzwerk „The You Way“ vertreten.
Drei Bloggerinnen sind daran beteiligt, Pernille Teisbaek, Sofi Fahrman und ich. Die Plattform vereint unsere Blogs und ist gleichzeitig auch eine Art Magazin für Inspirationen und ein Shop, in dem Produkte direkt gekauft werden können. Ich arbeite sehr gerne mit den beiden zusammen, weil wir uns stets gegenseitig helfen, außerdem halte ich sie für extrem talentiert und inspirierend. Es ist unser „Girlpower Dreamteam“.
Wie groß ist dein eigenes Team heute?
In L.A. sind wir mittlerweile 25 Leute. Angefangen habe ich ja nur mit meinem Mann – es wächst also deutlich. In unseren Store in L.A. arbeiten fünf Frauen und in New York werden auch fünf Mitarbeiterinnen eingestellt. Und dann gibt es in Schweden und anderen Ländern noch weitere PR-Agenten.
Nachdem es schon einen Laden in Los Angeles gibt, eröffnet im Februar ein neuer Store in New York: Wieso hast du dich dazu entschieden, Stores aufzumachen und nicht ausschließlich online zu verkaufen, was ja dann doch einfacher ist?
Das Label war inzwischen so sehr gewachsen, dass sich ein Laden angeboten hat. Außerdem haben so viele Leute in Los Angeles danach gefragt, dass wir uns schließlich dazu entschlossen haben. Und es lief so gut, dass wir also bald den nächsten in New York einweihen werden. Der direkte Kundenkontakt macht mir sehr viel Spaß, ich versuche einmal die Woche vor Ort zu sein.
Und dann stehen erst Mal stundenlang Selfie-Sessions mit deinen Fans auf dem Programm?
Haha, ja, wenn jemand darum bittet! Für mich ist es einfach schön die Reaktionen der Kunden zu sehen.
Wie andere Designer bringst du nicht nur zwei mal im Jahr, sondern durchgehend Kollektionen auf den Markt. Wie kann man sich den Ablauf vorstellen?
Ich bringe jeden Monat neue Mini-Kollektionen raus. Das heißt, es wird durchgängig gearbeitet. Für mich, als auch für die Kunden, ist es viel interessanter, ständig neue Produkte im Angebot zu haben. Es ist ja anders als bei Fashion Shows, ich muss keine ganze Kollektion präsentieren.
Fashion Shows von Anine Bing wird es also auch in Zukunft nicht geben?
Auf keinen Fall! Ich liebe es auf diese, vielleicht etwas unkonventionelle Art, zu arbeiten.
Zu Beginn hast du mit den drei Basic-Teilen begonnen. Was ist mit der Zeit dazugekommen und was hast du in Zukunft vor?
Schuhe sind ziemlich schnell dazu gekommen, neu ist eine Handtasche, dann gibt es noch Schmuck. Vor einer Weile habe ich mit Unterwäsche angefangen – wir haben direkt super viele BHs verkauft. Was auch immer ich gerne in meinem eigenen Kleiderschrank hätte, designe ich.
So eine große Bandbreite an unterschiedlichen Produkten anzubieten ist aber in gewisser Weise auch eine Herausforderung, oder? Einen guten BH zu designen stelle ich mir kompliziert vor, auch was das Handwerk betrifft.
Das stimmt schon. Das perfekte Modell zu entwerfen hat auch eine Weile gedauert. Ich wollte diese zarten Spitzen-BHs machen, und zwar auch für größere Brüste. Und es hat funktioniert! Ich passe die Sachen immer an die Frauen im Büro an, die alle verschiedene Körpertypen haben, denn mir ist es wichtig dass meine Kleidungsstücke nicht nur Dünnen oder Kräftigen passt, sondern wirklich allen.
Was für einen Stellenwert hat für dich Qualität auf dem heutigen Mode-Markt, wenn man bedenkt, dass der Verkaufs-Rhythmus immer schneller wird?
Einen extrem hohen. Wenn ich die ersten Samples von einem Produkt bekomme, gucke ich mir jedes kleinste Detail ganz genau an. Dann wird es wieder zurück geschickt, überarbeitet und so weiter… Qualität ist enorm wichtig heutzutage.
Welche Materialien benutzt du hauptsächlich?
Viele verschiedene. Ich liebe Seide, Leder, Leinen, Denim – wonach auch immer mir ist.
Was sind die wichtigsten Märkte für dein Label?
Die USA sind an der Spitze. Hinzu kommt Deutschland, der Markt wächst gerade sehr, außerdem Australien. Wir verkaufen aber weltweit.
Wie hast du das geschafft? Hast du überall Handelsvertreter?
Nein, das lief wieder hauptsächlich vom Büro in L.A. aus. Wir mussten uns aber weniger um Stores bemühen. Es war eher so, dass Leute sich bei uns gemeldet haben. Und einige Läden haben wir natürlich auch kontaktiert. Heute haben wir auch ein paar Vertreter in verschiedenen Ländern.
Ein Look aus dem Store von Anine Bing.
Wir waren gerade auf der Modemesse Premium und überall herrschte striktes Fotoverbot: Die Labels haben Angst, kopiert zu werden. Wie schützt du dich vor Kopien?
Das passiert ständig, darum sollte man sich da nicht zu sehr mit beschäftigen. Das ist ein Nachteil, wenn man sie Kollektion so früh im Voraus zeigt. Ich zeige keines meiner Produkte, bevor es im Onlineshop zu kaufen ist. Ich zeige es auch sonst niemandem, sondern glaube selber zu 100% an das Produkt und verkaufe es dann.
Gibt es Labels oder Designer, die du zu deinen Vorbildern zählst?
Isabel Marant ist extrem inspirierend und natürlich gibt es viele bewundernswerte Designer da draußen. Das klingt jetzt vielleicht merkwürdig, aber ich versuche nicht zu viel darauf zu schauen, was die anderen Leute um mich herum tun. Stattdessen fokussiere ich mich auf das was ich tue, um mich nicht in irgendetwas zu verfangen.
Gibt es keine Konkurrenzkämpfen zwischen anderen Designern oder Bloggern?
Nein, darüber denke ich gar nicht erst nach.
„Eine Bloggerin, die zur Designerin wurde“ – kannst du das noch hören oder würdest du lieber ausschließlich als Designerin wahrgenommen werden?
Diese Bezeichnung macht mir ehrlich gesagt gar nichts aus. Ich fühle mich sehr selbstsicher mit dem was ich tue, habe mittlerweile zwei Stores und muss niemandem mehr etwas beweisen. Auf das, was ich bis jetzt erreicht habe und wo ich heute stehe, bin ich ziemlich stolz.
Außerdem bist du auch noch Sängerin in einer Band!
…das stimmt, aber ich habe seit vier Jahren nichts aufgenommen. Der Plan ist allerdings, bald mal wieder ins Studio zu gehen. Ich liebe es Musik zu machen und überhaupt den ganzen kreativen Prozess, der damit verbunden ist.
Letzte Frage: Wo steht Anine Bing in fünf Jahren?
In fünf Jahren habe ich vielleicht zehn Läden, in London, Mailand, Kopenhagen… Ich möchte, dass mein Label in einem natürlichen Tempo wächst. Aber ich möchte nicht zu viele Pläne schmieden…
Vielen Dank für das Interview!
Foto im Header: Anine Bing
5 Antworten auf „Karriere-Interview mit Anine Bing: Designerin, Bloggerin, instagram-Ikone“
Mal wieder ein sehr schönes Karriereinterview – ganz klar meine Lieblingskategorie hier!
Wirklich beeindruckend, was sie sich aufgebaut hat!
Sie hat beste Voraussetzungen (Modelaussehen, schicken Lebensstil, einen gutgehenden Blog, viele Kontakte in die Branche, einfach ein gutes Netzwerk) und mit Ehrgeiz und Unternehmergeist was draus gemacht, auch wenn sie mir persönlich nicht zusagt und ein in meinen Augen ein Kunstprodukt ist, dessen ich überdrüssig geworden bin.
Sie macht Mode für die Straße, mit diesem Model-off-duty Touch, die keine große Coutureambitionen und auch keinen hohen Wiedererkennungswert hat, aber vielen Mädels und Frauen gefällt; mir auch. Und auch der Copy-cat-Radar schlägt da häufiger mal ersckreckend stark aus (Hello, Chloé Susanna Booties, da war doch was…), aber wo tut er das denn heute nicht mehr?
Es ist interessant zu sehen, wie sich Mode und der Entstehungsprozess von Mode entwickelt/beschleunigt (Jeden Monat eine Minikollektion!!!). Mich überfordert und stresst diese Fast-Fashion zunehmend und ein wenig finde ich es auch schade, dass dieses Magische, Kunstvolle daran nach und nach in den Hintergrund tritt. Aber irgendwo sind’s auch zwei verschiedene Welten und das eine so gut läuft und Anklang findet, warum nicht, auch wenn ich es vom Tempo her nicht unterstütze, da alles solch eine Beliebigkeit bekommt.
Zu Anine bleibt zu sagen: Summa summarum, sie hat’s wohl ganz gut gerockt bisher!
Das erinnert mich an Sézane. Oder? Also das Konzept. Und JA, ich glaube, die Mode wird eher so funktionieren in Zukunft. So und mit nachhaltigen, richtig wertigen Teilen…
Beeindruckender Werdegang und immer wieder inspirierend zu lesen, wo einen die Träume so hinführen können 🙂
Danke für das spannende Interview. Es ist immer wieder interessant, einen kleinen Blick in das Leben anderer zu werfen und zu sehen, wie sie leben und was sie erreichen. Da träumt man gerne mit!
Liebe Grüße
Kathi