Über die Supermodel-Mafia und Female Empowerment – Im Interview mit Topmodel Toni Garrn

Bildung für Mädchen, Female Empowerment und Zusammenhalt in der Modebranche – das beschäftigt Toni Garrn

Supermodel-Mafia. Zu der gehört Toni Garrn. Ob ich mir diesen Begriff ausgedacht habe? Keinesfalls. Diese Riege gibt es wirklich. Sie ist geheim. Exklusiv. Und voll von internationalen Supermodels. Der Sinn und Zweck dieser Gemeinschaft? Female Empowerment. Und das steht nicht nur abgewandelt auf dem T-Shirt, was Toni Garrn trägt, als ich sie gestern zum Interview im Berliner Pop-up Shop von Vestiaire Collective treffe, nein, es ist ihr ernst mit dieser Botschaft – und ihrer Mafia-Gruppe, in der sich Models auf Whatsapp austauschen, ihre Probleme teilen und ihre Kolleginnen auf Charity-Aktionen aufmerksam machen.

Denn seit 2014 ist sie Global Ambassador der Plan’s International’s Because I am A Girl Kampagne und gründet ihre eigene Toni Garrn Foundation. Damit unterstützt sie die Bildung von Mädchen und Frauen in Afrika, genauer gesagt in Simbabwe und arbeitet auf eine Zukunft hin, in der Kinder, besonders Mädchen, ihr volles Potenzial ausschöpfen können. Was die Foundation dafür tut: Sie baut Schulwohnheime für Mädchen, um die Distanz zwischen Schule und Zuhause zu vermindern, baut Girls-Only-Badezimmer, denn oft wird den Mädchen während der Periode verboten zur Schule zu gehen und vermittelt den Girls auch psychischen Support in Form von Treffen mit ausgebildeten Gesprächspartnern, die ihnen neue Ideale in Sachen Gleichberechtigung lehrt.

Deine Organisation setzt sich für die Bildung von Mädchen in Afrika ein. Wieso liegt dir dieses Thema so sehr am Herzen?

Das kam durch meine Reisen nach Afrika. Mir ist dort sehr schnell aufgefallen, dass Frauen dort nicht gleichberechtigt sind und kein Recht auf Bildung haben. Es ist erschreckend zu sehen, wie viel mehr Arbeit und wie viel weniger Rechte Frauen und Mädchen dort haben. Ich liebe den Kontinent und kann einfach nicht weg schauen.

Hast du eine persönliche Geschichte, die dich vor Ort besonders berührt hat?

Viele. Aber eine ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Als ich vor circa vier Jahren in Burkina Faso war, einem westafrikanischen und überwiegend muslimischen Land, habe ich dort ein junges Mädchen in einer Mädchenschule kennengelernt. Sie hat mich damals zur Seite genommen, mit 15 Jahren, und ich konnte sie kaum verstehen, weil sie Französisch gesprochen hat. Sie brauchte damals dringend Hilfe, weil sie eines Tages nach der Schule nach Hause kam und von ihrem Vater mit Pfeil und Bogen angegriffen wurde. Weil er nicht wollte, dass sie weiterhin zur Schule geht. Als sie im Krankenhaus aufwachte, sagte ihr Mutter zu ihr, dass sie nicht mehr nach Hause kommen soll. Sie war dort nicht mehr willkommen. 

Das Recht auf Bildung ist für Frauen in Afrika einfach keine Selbstverständlichkeit. Die Dörfer, die Regierung, die Tradition, die Kultur – sie alle verstehen nicht, warum Frauen zur Schule gehen sollten, wenn sie später sowieso verheiratet werden und Kinder bekommen. Es erscheint ihnen viel logischer und finanziell sinnvoller, wenn die Frau bei der Familie bleibt. Aber die Mädchen, die ich kennengelernt habe, möchten ausgebildet werden und lernen. Sie wollen mehr vom Leben als mit 15 Jahren verheiratet zu werden, Kinder zu bekommen und den Kreislauf fortzusetzen.

Wie überprüfst du die Fortschritte deiner Organisation?

Ich fahre selbst regelmäßig nach Afrika, schaue wo Bedarf ist, entscheide mich für Projekte und überprüfe dann auch die Umsetzung. Das Ganze gemeinsam mit Plan International, die auch Leute vor Ort haben.

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Doch anstatt ferne Charity-Events zu veranstalten, bei denen reiche Leute Teile ihres Vermögens spenden, hat sich Toni Garrn, bodenständig wie sie als Hamburger Mädchen ist, eine andere Möglichkeit überlegt, wie sie möglichst viel Geld für den guten Zweck sammeln kann: den guten, alten Flohmarkt.

Schon seit mehreren Jahren veranstaltet sie in New York ihren berühmten Charity-Flohmarkt, bei dem sie zusammen mit Model-Kolleginnen ihre Kleidung spendet. Denn ein Problem, was man als internationales Supermodel zu haben scheint ist: Klamotten in Massen. Und die sollen nicht im Schrank einstauben, sondern für etwas Gutes sorgen.

Schön für diejenigen, die in den letzten Jahren das Glück hatten, in New York zu sein. Pech für alle die, die in Europa nichts von der Modelmode abbekamen. Mehr Kunden, mehr Geld, mehr Bildung – das wurde auch Toni Garrn schnell klar und so war es ein logischer Schritt, dass sie ihren Charity-Flohmarkt auf eine internationale Ebene ausweitete und sich mit Vestiaire Collective zusammentat. Jetzt kann jeder die Kleidung online kaufen und seit heute auch in drei Offline-Pop-up-Shops in ganz Europa.

Wie bist du auf die Idee mit dem Charity-Flohmarkt gekommen?

Ich hatte viel zu viele Klamotten und habe einfach mal aussortiert. Meine ganzen Freundinnen ging es genauso. Zum selben Zeitpunkt wollte ich Gelder für meine Foundation sammeln. Also stellte ich mir die Frage: Wieso verkaufe ich meine Sachen nicht einfach? Es fing ganz klein an: Ich habe alles selbst gefaltet, gebügelt, Kleiderständer aufgebaut und meine Mutter ist extra eingeflogen zum Helfen. Meine Agentin ist dann noch dazu gekommen und zusammen haben wir dann tagelang Preise gegoogelt: Was kostet eine alte Fendi-Tasche? Wir haben alles selbst organisiert, um ein bisschen Geld einzunehmen. Im ersten Jahr haben wir ca 20.000 Dollar eingenommen, im zweiten Jahr dann schon um die 50.000 Dollar – die Leute fanden die Klamotten cool und Models haben nunmal viel davon. Eine Win-Win-Situation. Jetzt haben wir uns mit Vestiaire Collective einen Partner gesucht, der den Flohmarkt nach Europa bringt und sich um die Logistik kümmert.

Wie kann man sich das Aussortieren vorstellen? Du und deine Modelkolleginnen zusammen vor dem Kleiderschrank?

So ähnlich. Um die Top-Teile von bekannten Namen zu bekommen, muss ich fast alle selbst ansprechen. Ich sage meinen Mädels: Haltet das zurück oder schickt es mir. Am Anfang habe ich dann noch alles in meiner Wohnung gesammelt und weggepackt. Jetzt hilft mir aber wie gesagt Vestiaire Collective mit der Logistik. Wir sammeln alles in London, von dort werden die Teile nach Berlin und Paris versendet. Und dank Vestiaire Collective, findet der Sale ja nun zum ersten Mal auch online statt.

Gibt es denn ein Kleidungsstück, was du niemals hergeben würdest?

Meine Jacke, die ich heute trage. Eine alte Unisex Levi’s Jacke mit ganz vielen Zippern. Ich hatte schon Angst, dass sie aus Versehen hier zwischen den gespendeten Sachen landet! Das wäre gar nicht lustig! 

Welches ist dein Lieblingsteil aus dem Charity Sale?

Mein rotes Kleid, das vorne im Schaufenster hängt. Das hatte ich so oft an. Ich war damit auf Geburtstagen, Hochzeiten – damit verbinde ich so viele Geschichten. 700 Euro hat es gekostet und es ist schon verkauft. Damit können wir so vielen Mädchen ein Jahr Schule finanzieren. Das macht mich so glücklich. 

Warum sollte man unbedingt im Pop-up-Shop vorbeischauen, wenn es auch online viele Teile gibt?

Es sind nur 100 Kleidungsstücke online, insgesamt haben wir aber über 2000 gesammelt. Ich bin vorhin schon hier im Store herumgelaufen und habe mich gefragt: Wo sind meine Taschen? Und meine Lederjacken? Die haben wir hinten versteckt und jeden Tag werden neue Sachen herausgehangen zum Verkauf. Für die nächsten zwei Städte haben wir auch noch viele tolle Teile in petto. Es lohnt sich also, jeden Tag vorbeizuschauen! 

Vielen Dank für das Interview, liebe Toni!

Supermodel Charity Sale

Appel Design Gallery

Torstraße 114

Freitag + Samstag: 10:00 – 19:30

Fotos: Toni Garrn x Vestiaire Collective – Fotograf Giles Bensimon

Von Marie

Der erste Satz, wenn mich Leute kennenlernen ist: „Das ist aber selten.“ Ja, ich bin ein seltenes Exemplar: Berliner Eltern, Berliner Blut, Berliner Göre. Tatsächlich bin ich so sehr mit der Hauptstadt verbunden, dass ich meinem Kiez in Schöneberg seit über 20 Jahren die Treue halte und noch nie von hier weggezogen bin – und auch nicht dran denke. Und obwohl wir Schöneberger zwar sehr viel von Bio-Supermärkten und esoterischen Edelsteinläden halten, gibt es hier auch das ganz große Mode-Paradies: das KaDeWe. Der Tempel des Shoppings und der Ersatzkindergarten für meine Eltern, sozusagen das Småland bei Ikea für mich (andere Kinder haben dort ihren ersten Wutanfall, ich schmiss mich in voller Rage im Atrium des KaDeWe auf den Boden und weigerte mich zu gehen). Kein Wunder also, dass Mode und ich nie wirklich Berührungsängste hatten.

Spätestens seit der Oberstufe, in der ich – dank Blair Waldorfs Inspiration aus Gossip Girl (ja, das war meine Serie zusammen mit Gilmore Girls) – die Schule nie ohne Haarreif, Fascinator oder eine gemusterte Strumpfhose betrat, hatte auch mein Umfeld begriffen: Marie macht was mit Mode. Und weil ich damit in meinem katholischen "Elite-Gymnasium" so ziemlich die Einzige war, suchte ich meine Verbündeten 2011 woanders: im Internet. Auf meinem Blog Style by Marie. Und so begann meine modische Laufbahn.

Noch mehr Gleichgesinnte und vor allem Freunde fand ich auf der Akademie für Mode & Design in Berlin, bei der ich 2013 meine Ausbildung in Modejournalismus und Medienkommunikation startete. Was für mich seit der 1. Klasse klar war, nämlich das Schreiben mein Ding ist, wurde jetzt zu meinem Beruf: Journalistin. (Denn ja Oma, es gibt noch etwas anderes als Modedesignerin). Dank meines Blogs und einem Praktikum bei der Harper’s Bazaar Germany in der Online-Redaktion blieb ich auch dem Internet und dem Online-Journalismus treu. Und ratet mal, wo ich jetzt bin: Genau, bei Journelles, dem Blogazine, was alle meine Leidenschaften verbindet: Bloggen, Schreiben, online sein – zusammen mit euch!

Kommentare (5) anzeigen

5 Antworten auf „Über die Supermodel-Mafia und Female Empowerment – Im Interview mit Topmodel Toni Garrn“

Noch eine Info für alle, die die Kommentare lesen: Vor der Kolonialisierung hatten Frauen in vielen afrikanischen Regionen eine starke ökonomische Stellung, diese wurde erst durch die Kolonialherren und Missionare ideologisch in Frage gestellt und durch Steuermodelle dann aktiv abgeschafft. Die Kultur und Tradition, die Toni Garrn für die schlimme Situation der Mädchen verantwortlich macht, ist also eigentlich die europäische Kultur des Kolonialismus. Ich fände es toll, wenn sie diese Perspektive noch in ihr großartiges Projekt aufnimmt!

Danke Lisi für diesen Kommentar.
Ich möchte noch hinzufügen, dass mich immer wieder befremdet, dass in solchen Aktionen immer generalisiert von „Afrika“ gesprochen wird, da sie die Unterschiede dieses sehr großen und diversen Kontinents völlig außer Acht lässt. Auch das ist immer noch ein verbales Erbe der eurozentristischen, kolonialen Perspektive.

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Journelles ist das grösste unabhängige Mode-Blogazine in Deutschland und wurde 2012 von Jessie Weiß gegründet. Die 37-jährige Unternehmerin legte 2007 den Grundstein für die Modeblogosphäre mit dem Netz-Urgestein LesMads und arbeitet seither als Journalistin, Moderatorin und Kreativdirektorin.