„Mein Unternehmen besteht zu fast 80 Prozent aus Frauen“ – Unser grosses Interview mit Modedesignikone Stella McCartney

Stella McCartney hätte sich Coco Chanel als Mentorin gewünscht - jetzt gibt die Modedesignerin aber erst mal ihr Wissen weiter. Wir haben die Ikone in London zum Interview getroffen

Stella McCartney wird erneut Schirmherrin des „Designer for Tomorrow Awards 2017“ – diese Meldung hat bei mir kurzzeitig zu Schnappatmung geführt, da ich seit vergangenem Jahr Teil der Jury bin (zuletzt war Alber Elbaz der Star-Juror) und somit nun offiziell neben einem meiner grössten Design-Idole für die Talente der inzwischen 10.Ausgabe des Nachwuchs-Awards stimmen darf. Großartig!

Um die Kollektionen vorab zu sichten, hätte ich Mitte Juni nach London fliegen sollen. Allerdings kam mir da unsere Rhodos-Reise in die Quere. Kurzerhand hat Marie übernommen und die Designerin für Journelles interviewt – eine grosse Ehre!

Im Gespräch erzählt uns die 45-jährige Mutter und Designerin, dass sie sich Coco Chanel als Mentorin gewünscht hätte und sie die heutige Modebranche nicht für zeitgeistig genug empfindet. Ausserdem konnten wir London schlecht ohne ihre wichtigsten Tipps für den Nachwuchs verlassen…

Fotos: instagram/stellamccartney

Es ist das zweite Mal, dass du beim Fashion Talent Award "Designer for Tomorrow" in der Jury sitzt. Was hat dich dazu bewegt, nochmal dabei zu sein?

Es war letztes Mal eine wunderbare Erfahrung, die ich wirklich sehr genossen habe. Ich habe mich total geehrt gefühlt, als ich nochmal angefragt wurde. Es ist einfach toll, auf diesem Weg persönlichen Kontakt mit der nächsten Generation an Designern zu haben und sich mit ihnen auszutauschen. Vor allem, weil ganz unabsichtlich, wieder ausschließlich Frauen mit dabei sind.

Die Modebranche durchlebt momentan einen großen Umschwung. Fashion Shows verändern und das "See-Now-Buy-Now"-Prinzip etabliert sich. Wie empfindest du diese Entwicklung?

Ich muss tatsächlich sagen, dass ich selten gegen Veränderungen und eher für den Wandel bin. Veränderungen halten einen schließlich lebendig und sind aufregend, deswegen setze ich auch meinen Fokus gar nicht so sehr auf das „See-Now-Buy-Now“-Prinzip. So lange es für die Menschen aufregend und relevant ist, die Bezahlungen stimmen, die Menschen auf dem Weg respektvoll behandelt werden und es keine Unterbrechungen in dem Prozess der Veränderung gibt, ist doch alles in Ordnung. Ich glaube ein Wandel trägt immer sowohl positive, als auch negative Aspekte mit sich. Man kann nie wissen, ob es erfolgreich wird, da es weder Regeln noch Vorschriften gibt. Ich bin jedenfalls zufrieden, wenn es Veränderungen in verschiedenen Ansätzen gibt.

Im Interview mit Natalia Vodianova hast du gesagt, dass die kommende Generation mit dem Thema Konsum ganz anders umgeht, als die Generationen zuvor. Wie erklärst du dir das Phänomen "Fast-Selling"?

Ich habe natürlich auch die Entwicklung mitbekommen. Als ich jünger war, gab es die meisten Brands ja schon. Ich weiß auch, dass sich nicht jeder meine Designs leisten kann und das ist nicht unbedingt etwas, das mir gefällt. Mir ist es jedoch wichtig, dass ich gute Kleider herstelle, die verantwortungsvoll produziert worden sind und auf dieser Basis entsteht folglich der Preis. Ich wünsche mir nur einfach, dass die Menschen, die sich zum Beispiel meine Taschen nicht leisten können, auch keine Kopie von meinen Designs kaufen, die von schlecht bezahlten und unterprivilegierten Menschen in einer sehr umweltschädlichen Weise hergestellt worden sind. Ich rate dazu, lieber auf 20 billige Produkte zu verzichten, zu sparen und eine Investition für das Leben zu tätigen und dabei gleichzeitig umweltfreundlich zu sein.

Welche Kollektionen oder welche Designer findest du denn bezüglich ethischer Aspekte sehr stark? Welche Kollektion kaufst du mit einem guten Gewissen?

Um ehrlich zu sein, trage ich nur meine eigene Kollektion. Da weiß ich, wie die Produkte hergestellt worden sind und das macht mir meinen Alltag bei meinem straffen Zeitplan einfacher.

Bis zu welchem Grad sollte deiner Meinung nach Mode politisch sein?

Da stellt sich natürlich die Frage, bis zu welchem Grad jegliche Bereiche in unserer Gesellschaft eine politische Stellung einnehmen sollten? Mode ist nicht mehr das, was es mal war. Mode gehört jetzt, so wie Musik, Film, Tanz und Architektur, zu den Künsten und Business, Kreativität und Produkt verschmelzen ineinander. Also sollte das nicht alles einen politischen Standpunkt beinhalten? Mit diesen Themen erreicht man ja auch die Gesellschaft. Es gibt genügend Möglichkeiten, um an politische Informationen zu gelangen, deswegen können die Menschen selbst entscheiden, ob sie aus der Mode einen politischen Standpunkt ziehen oder nicht. Jedoch sollte Politik nicht eingesetzt werden, um ausschließlich Verkaufszahlen zu generieren. Sei politisch, wenn du dir dabei treu bleibst. Erst dann ist man in der Lage, Urteile zu fällen und das zu sagen, was man denkt.

Bei deinen Modenschauen vermittelst du gerne ein positives Lebensgefühl, die Models tanzen und lachen im Finale. Inwiefern setzt du "Girl Power" in deiner Unternehmensphilosophie ein? Arbeitest du schon lange mit den gleichen Kollegen und wie unterstützt du die Frauen in deinem Unternehmen?

Ich behandele Frauen und Männer gleichberechtigt und versuche eine angenehme, verständnisvolle und einheitliche Atmosphäre zu schaffen, auch wenn einem mal Niederschläge in diesem Bereich widerfahren. Mein Unternehmen besteht fast zu 80 Prozent aus Frauen und es ist schön, dass wir unsere Kinder gegenseitig aufwachsen sehen. Viele von ihnen haben bei mir als Singles begonnen, über die Jahre irgendwann geheiratet, Kinder bekommen und wir waren alle bei jeder individuellen Reise mit dabei. Ich habe meine Familie zuhause und eine weitere auf Arbeit.

Aber natürlich gab es auch Situationen, in der Leute gekommen und schnell wieder gegangen sind. Wir sind einfach eine große Community und die Leute kommen aus der ganzen Welt, um bei uns zu arbeiten. Ich glaube, das liegt vor allem an unserer nachhaltigen Denkweise, mit der wir an Business und Mode herangehen. Wir betrachten unsere Branche breit gefächert, beziehen andere Branchen wie Architektur und Technologie mit ein und haben dadurch eine andere Art zu arbeiten. Das ist vermutlich das, was meine Mitarbeiter so an unserem Unternehmen schätzen.

Welche Arbeitsmoral benötigt man deiner Meinung nach heutzutage?

Es ist wichtig aufmerksam, verantwortungsbewusst und modern zu sein und die Mitmenschen so zu behandeln, wie man selbst gerne behandelt werden möchte.

„Sei politisch, wenn du dir dabei treu bleibst. Erst dann ist man in der Lage, Urteile zu fällen und das zu sagen, was man denkt.“

Inzwischen gibt es große Luxus-Labels, die eine starke Präsenz in den sozialen Medien aufweisen. Wie können Newcomer-Talente mehr Aufmerksamkeit erreichen?

Das ist wirklich schwer. Ich würde sogar sagen, es war noch nie so schwer und gleichzeitig noch nie so einfach, auf sich aufmerksam zu machen. Die beiden Extreme sind momentan stark vertreten. Es herrscht eine massive finanzielle Überhand bei den großen Marken, die noch dazu stark verwurzelt, weil sie es sich leisten können. Die meisten Labels sind schon über 100 Jahre alt und können mit einem reichlichen Erbe und großen Namen arbeiten und sich durch ihre starke Präsenz einen Vorteil verschaffen.

Gleichzeitig ist die Jugend von heute unfassbar agil und es braucht nicht mehr viel Geld, um sich auf verschiedenen Plattformen präsentieren zu können. Das war zu meinen Anfangszeiten noch ganz anders.

Social Media erlangt dadurch immer mehr an Bedeutung. Nutzt du soziale Netzwerke für dein Business oder für private Zwecke?

Social Media nutze ich hauptsächlich für mein Business. Wir sind ein modernes und agiles Unternehmen und offen für jegliche Plattformen, die zu unserer Philosophie passen. Noch setzen wir die sozialen Netzwerke vermutlich weniger ein als andere, aber wir sind dabei, das weiter auszubauen.

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Hast du bereits mit Bloggern oder Influencern zusammengearbeitet?

Ja, wir hatten tatsächlich schon ein paar Kooperationen. Es ist eine tolle Möglichkeit mit Leuten zusammenzuarbeiten, vor allem mit jungen weiblichen Künstlerinnen wie Petra Cortright, Petra Collins, aber auch mit Phillip Price. Gestern haben wir zum Beispiel einen neuen Film für meine neue Menswear Collection gelauncht, in dem Cillian Murphy mitgespielt und mein Vater sogar die Musik für gemacht hat. Es macht Spaß, wenn man verschiedene Dinge mit unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammenbringen kann.

Da Celebrities wie Alexa Chung ihr eigenes Label gründen, hat man mittlerweile das Gefühl, dass man gar nicht mehr Fashion studiert haben muss, um Modedesigner zu werden. Ist es weiterhin notwendig Mode zu studieren, um ein erfolgreicher Designer zu werden?

Ich habe damals Mode studiert und glaube, dass es ein großer Vorteil ist, diesen Hintergrund und das Wissen zu haben. Meiner Meinung nach gibt es einen großen Unterschied zwischen einem Modedesigner und der Arbeit mit der Modebranche. Teilweise sind es eher Stylisten als wirklich Modedesigner. Hinter all den Celebrities stecken sicherlich auch mal Designer, aber viele kopieren auch einfach nur oder haben jemanden an der Seite, der Mode studiert hat.

Wenn du eine Newcomer-Designerin wärst, welchen Mentor würdest du dir aussuchen?

Das ist gar nicht so einfach. Vielleicht würde ich Coco Chanel wählen, um ihr bei der Arbeit auf die Finger zu schauen. Höchstwahrscheinlich würde ich auch eine weibliche Person bevorzugen oder eine Mischung aus einer historischen Figur der Modebranche und einer Person, die nicht aus der Branche kommt, wie beispielsweise Steve Jobs.

Wer oder was hat dir zu Beginn deiner Karriere am meisten den Rücken gestärkt?

Auf jeden Fall die bedingungslose Liebe meiner Eltern. Die haben mich immer so akzeptiert, wie ich bin. Das hat mir unheimlich viel Selbstbewusstsein gegeben.

Good to know:

Der „Designer for Tomorrow“-Award wurde bereits 2008 gegründet und ermöglicht seitdem jungen Talenten, die eigene Kollektion vorzustellen, Aufmerksamkeit zu gewinnen und sich in der Modebranche zu etablieren.

Neben Stella McCartney, Christiane Arp, Marcus Luft und vielen mehr, sitzt auch Jessie in der Jury.

Nähere Infos gibt’s hier.

Wie oder vielmehr wo siehst du die Zukunft der Modebranche?

Ich hoffe, dass die Modebranche nicht mehr lange auf dem heutigen Stand bleibt, da sie nicht dem Zeitgeist von heute entspricht. Mit dieser Ansicht stehe ich aber meistens der Mehrheit gegenüber. Ich bin eben sehr nachhaltig in meiner Denkweise und habe im Bezug auf die Herstellung meiner Produkte ein wenig mehr Verantwortung. In meiner Position finde ich es wichtig mitzudenken, sich weiterzuentwickeln und aus den Fehlern aus der Vergangenheit zu lernen und vor allem das Verhalten hinsichtlich des schlechten Einflusses auf die Umwelt zu überdenken.

Deswegen hoffe ich, dass sich die Modebranche nach und nach weiterentwickelt und zum Beispiel auf Leder, Fell und PVC verzichtet. Der Style soll unverändert bleiben, aber die Menschen sollen bewusster mit dem Thema umgehen. So erhoffe ich mir zumindest die Zukunft im Mode-Business.

Was sind deine drei Tipps für einen Newcomer-Designer?

  1. Du brauchst Talent und versuchst immer dein Bestes zu geben.
  2. Gehe verantwortungsbewusst mit deiner Umwelt um.
  3. Sei anders und versuche trotzdem immer du selbst zu bleiben.

Vielen Dank für das Interview, liebe Stella, und viel Spaß beim „Designer for Tomorrow“-Award!

Interview: Marie-Christin Jaster

Übersetzung: Yildiz Krahn

Von Marie

Der erste Satz, wenn mich Leute kennenlernen ist: „Das ist aber selten.“ Ja, ich bin ein seltenes Exemplar: Berliner Eltern, Berliner Blut, Berliner Göre. Tatsächlich bin ich so sehr mit der Hauptstadt verbunden, dass ich meinem Kiez in Schöneberg seit über 20 Jahren die Treue halte und noch nie von hier weggezogen bin – und auch nicht dran denke. Und obwohl wir Schöneberger zwar sehr viel von Bio-Supermärkten und esoterischen Edelsteinläden halten, gibt es hier auch das ganz große Mode-Paradies: das KaDeWe. Der Tempel des Shoppings und der Ersatzkindergarten für meine Eltern, sozusagen das Småland bei Ikea für mich (andere Kinder haben dort ihren ersten Wutanfall, ich schmiss mich in voller Rage im Atrium des KaDeWe auf den Boden und weigerte mich zu gehen). Kein Wunder also, dass Mode und ich nie wirklich Berührungsängste hatten.

Spätestens seit der Oberstufe, in der ich – dank Blair Waldorfs Inspiration aus Gossip Girl (ja, das war meine Serie zusammen mit Gilmore Girls) – die Schule nie ohne Haarreif, Fascinator oder eine gemusterte Strumpfhose betrat, hatte auch mein Umfeld begriffen: Marie macht was mit Mode. Und weil ich damit in meinem katholischen "Elite-Gymnasium" so ziemlich die Einzige war, suchte ich meine Verbündeten 2011 woanders: im Internet. Auf meinem Blog Style by Marie. Und so begann meine modische Laufbahn.

Noch mehr Gleichgesinnte und vor allem Freunde fand ich auf der Akademie für Mode & Design in Berlin, bei der ich 2013 meine Ausbildung in Modejournalismus und Medienkommunikation startete. Was für mich seit der 1. Klasse klar war, nämlich das Schreiben mein Ding ist, wurde jetzt zu meinem Beruf: Journalistin. (Denn ja Oma, es gibt noch etwas anderes als Modedesignerin). Dank meines Blogs und einem Praktikum bei der Harper’s Bazaar Germany in der Online-Redaktion blieb ich auch dem Internet und dem Online-Journalismus treu. Und ratet mal, wo ich jetzt bin: Genau, bei Journelles, dem Blogazine, was alle meine Leidenschaften verbindet: Bloggen, Schreiben, online sein – zusammen mit euch!

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7 Antworten auf „„Mein Unternehmen besteht zu fast 80 Prozent aus Frauen“ – Unser grosses Interview mit Modedesignikone Stella McCartney“

Ein sehr schönes Interview. Sie ist eine ganz tolle Frau! Ich finde es großartig, wen ihr hier bei Journelles so alles vor den Notizblock bekommt, verrückt!

StirnFALTEN mit 45? Oder Fältchen? Falsche Botschaft… die da nach außen getragen wird, wenn man ein Frauenteam leitet und auch sonst mit gehobenem Zeigefinger durch die Welt läuft, Stichwort: vegan.
Den ‚Zahn der Zeit‘ kann man nicht aufhalten. Eine Stirn, so glatt wie eine Glasplatte, ist nicht schöner…mMn.
– Und es ist nicht nur die Stirn.

Ich frag mich halt, ob der Aspekt der verantwortungsvollen und nachhaltigen Produktion der SMcC-Kleidung/“Zubehör“, tatsächlich diese Preise rechtfertigt? Wage es etwas zu bezweifeln, auch wenn ich das faktisch nicht begründen kann. In meinen Augen – es sind und bleiben Lifestyleprodukte auf den ein riesiger Prozentsatz der Marge für den Punkt „Luxuslabel“ reserviert ist. Das ist ok, sollte nur auch so benannt werden.
Und eine Frage, die ich mir immer wieder bezogen auf ihre Taschen und Schuhe stelle: Ich kaufe Lederschuhe und Taschen, weil sie sich an den Körper anpassen, atmen, Kratzer etc. abkönnen und bei guter Pflege ansehnlich altern. Ist das imitierte Leder der SMcC so gut, dass es ähnliche Eigenschaften aufweist? Ich möchte es selbst nicht auf einen Versuch ankommen lassen, da zu kostspielig, aber eine Tasche für aberhunderte € zu kaufen, die in einem halben Jahr irreversible Kratzer/abgestoßene Kanten hat, die sich nicht mit etwas Lederpflege wieder ausgleichen lassen oder Schuhe, die sich zum Schwimmbad verwandeln, weil sie nicht atmen, fände ich ziemlich enttäuschend.
Hat jemand ehrliche Erfahrungswerte?

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Journelles ist das grösste unabhängige Mode-Blogazine in Deutschland und wurde 2012 von Jessie Weiß gegründet. Die 37-jährige Unternehmerin legte 2007 den Grundstein für die Modeblogosphäre mit dem Netz-Urgestein LesMads und arbeitet seither als Journalistin, Moderatorin und Kreativdirektorin.