„Heutzutage wird uns ständig Perfektion auf allen Ebenen abverlangt“ – Interview mit Schmuckdesignerin Lilian von Trapp

Nachhaltigkeit und Schmuck: Newcomerin Lilian von Trapp erklärt uns, warum wir nicht nur bei Kleidung umdenken müssen

Gerade erst haben wir das Thema Nachhaltigkeit im Interview mit den Gründerinnen des Onlineshops Almasanta angesprochen, schon steht die nächste Powerfrau vor der Tür, die sich das Zertifikat „High End Green Jewelry“ auf die Kappe geschrieben hat: Lilian von Trapp.

Lexi hat vor ein paar Wochen bereits über die Newcomerin berichtet und jetzt wollten wir genauer wissen, was es mit dem neuen Berliner Schmucklabel und Lilians Philosophie auf sich hat.

Der Schmuck von Lilian von Trapp steht für Zeitlosigkeit, Eleganz und Hochwertigkeit. Die junge Designerin möchte aber einen neuen wichtigen Aspekt zu ihrem Schmuck-Kosmos hinzufügen, denn der Umgang mit der Umwelt ist ihr ein besonderes Anliegen. Sie verwendet ausschließlich nachhaltige Materialien, greift auf Vintage-Schmuckstücke zurück und achtet auch sonst bei allen Aspekten auf die Herkunft ihrer Rohstoffe.

Wie man die drei Aspekte Trends, Nachhaltigkeit und Zeitlosigkeit verbindet, hat uns die Berlinerin im Interview verraten.

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Lilian, warum hast du dich dazu entschieden, dein eigenes Schmucklabel zu gründen?

Meine Mutter ist früh verstorben und hat mir ihren Familienschmuck hinterlassen. Für mich war er aber persönlich zu altmodisch, also kam mir die Idee, etwas Neues daraus entstehen zu lassen. Ich ließ Teile des Schmucks einschmelzen und nach meinen eigenen Entwürfen umarbeiten. So entstanden meine ersten Stücke. Mit dem Zuspruch an meinen Designs kam dann auch die Entscheidung, meinen Job zu kündigen und mich selbständig zu machen.

Einschmelzen? Interessant. Woher beziehst du die Materialien für deine eigene Kollektion?

Nachhaltiges Design und nachhaltige Materialien stehen bei meinem Label an vorderster Stelle. Die Diamanten beziehe ich von spezialisierten Händlern, die sie zuvor aus Vintage Schmuck ausgefasst haben. Beim Gold ist es ähnlich, meine Produktion kauft Altschmuck an, den sie dann zu meinem Schmuck weiterverarbeitet.

Und wo passiert dieser Prozess? Wo lässt du deinen Schmuck fertigen?

Ich habe nach längerer Suche einen kleinen Familienbetrieb in Portugal gefunden, der meinen Schmuck in Handarbeit anfertigt. Er besteht seit mehreren Generationen und die Familienmitglieder sind in allen Teilen des Produktionsprozesses involviert. Das spiegelt sich auch ganz klar in der Qualität der Arbeit wieder. Ich wollte einen Betrieb mit Persönlichkeit und Identität, zu dem ich eine enge Beziehung aufbauen kann.

Wie stellst du sicher, dass die Arbeitsbedingungen in dem Familienbetrieb deinen Ansprüchen genügen? Reist du viel dorthin?

Ich bin selbst regelmäßig in Portugal, um die Produktionsschritte zu begutachten und konnte mir schon von Anfang an ein Bild von den Bedingungen vor Ort machen. Danach habe ich mich auch erst für den jetzigen Betrieb entschieden. Mir war es wichtig, dass die Philosophie hinter dem Schmuck auch auf alle anderen Aspekte der Marke anwendbar ist. Ich kenne die Menschen, die an meinem Schmuck arbeiten persönlich und die Produktion läuft nach EU-konformen, geregelten Richtlinien.

Welche Prozesse durchläuft der Schmuck, damit du Vintage-Materialien noch einmal verwenden kannst?

Diamanten haben ja einen Schliff, der ihnen ihre einzigartige Identität gibt und sie ist ein wichtiger Bestandteil meines Schmucks. Also besteht der rein technische Prozess darin, sie auszufassen und zu waschen. Komplizierter und langwieriger ist das Sortieren, da ich alle Diamanten selbst ordne und den unterschiedlichen Designs anpasse. Mit Vintage Diamanten zu arbeiten bedeutet auch, dass bestimmte Designs zunächst nicht umsetzbar sind, weil die richtigen Größen oder Schliffe fehlen. Man kann nicht so einfach eine bestimmte Größe „bestellen“, wie das im herkömmlichen Schmuckhandel üblich ist.

Das Gold wiederum wird aus altem Schmuck eingeschmolzen und von seinen ursprünglichen Beimischungen getrennt. Es kommt dann als Feingold zurück und kann wieder verarbeitet werden. Vintage-Diamanten und recyceltes Gold unterscheiden sich qualitativ überhaupt nicht von neu abgebauten Materialien. Den meisten Menschen ist aber leider nicht wirklich bewusst, dass der Abbau von Gold für einen einfachen Goldring tatsächlich 20 Tonnen Giftmüll verursacht. Wahre Nachhaltigkeit von Echtschmuck ist daher meiner Meinung nach nur mit Recycling möglich.

Apropos Recycling: Als Onlineshop ist Logistik ja auch ein großer Teil deines Arbeitalltags. Wie setzt du dort auf Nachhaltigkeit?

Ich arbeite auch im Backend nur mit recycelten Materialien. Meine Versandverpackung besteht aus recyceltem Karton, alle Drucksachen verwenden recyceltes Papier. Ich verantworte die Versandlogistik selbst.

Vielleicht kommt es nur mir so vor, aber gerade habe ich das Gefühl, dass immer mehr Schmucklabels gegründet werden und der Markt gerade regelrecht überflutet wird. Woran liegt das deiner Meinung nach?

Ein Schmucklabel gründet man nicht einfach mal so nebenbei, in meinem Fall gingen dem Launch mehr als ein Jahr Vollzeit Arbeit voraus. Dabei geht es nicht nur darum, die richtigen Produzenten und Lieferanten zu finden, sondern auch um das Packaging, die Corporate Identity, Versandlogistik, Design und Programmierung des Webshops, Marketing und die Produktion der ersten Kampagne. Am Ende muss alles zusammenpassen.

Jemand, der sich an diese Branche einfach mal schnell heranwagt, wird sich wohl eher die Zähne ausbeißen. Ich denke, dass der Boom, den du beschreibst, das Spiegelbild einer weltweiten Bewegung ist, die wieder mehr Fokus auf Qualität und Werte setzt und sich von schnelllebigen, billigen Modetrends distanzieren will. Und wo sich eine solche Nachfrage bildet, formen sich natürlich auch kreative Köpfe mit der Vision, sie zu bedienen.

Die Nachfrage ist also groß. Wie sieht denn eine typische Kundin von Lilian von Trapp aus?

Ich entwerfe zeitlosen Schmuck, daher ist meine Zielgruppe relativ umfangreich. Es sind Frauen, die in Stücke investieren, auf die sie sich lange verlassen können, Frauen, die über den Tellerrand schauen. Aber ebenso Frauen, die das Besondere suchen und sich nicht von der Hektik unserer Zeit aus der Ruhe bringen lassen möchten.

Du bist jeden Tag von Schmuck umgeben. Worauf achtest du bei deinen persönlichen Stücken, die du jeden Tag trägst?

Ich liebe Schmuck, er komplettiert mich und ich gehe eigentlich so gut wie nie ohne ihn vor die Tür. Für mich muss Schmuck meinen Look unterstreichen, ohne mir etwas aufzudrücken. Er soll zeitlos sein und sich jeder Gegebenheit anpassen, trotzdem aber seine eigene Identität haben. Dazu kommt natürlich auch die Emotionalität, die ich mit Schmuck verbinde. Seitdem ich selbst designe, trage ich hauptsächlich meinen eigenen Schmuck und auch Stücke, zu denen ich eine starke emotionale Bindung habe, wie die Uhr meines verstorbenen Vaters.

Deine Stücke sind ja größtenteils zeitlos. Schließen sich Trends und Echtgold-Schmuck aus?

Nein, nicht zwingendermaßen. Aber die Frage ist doch, ob man mit Echtschmuck überhaupt aktuellen Trends nachlaufen sollte. Viele renommierte Juweliere haben in den 60er-Jahren-Designs entworfen, die auch heute noch total en vogue sind. Das ist doch erstrebenswert. Und auch nachhaltig gedacht.

Thema Nachhaltigkeit: Wie integrierst du das Thema in deinen Alltag?

Ich versuche insgesamt bewusster zu leben. Das ist oft so einfach gesagt, Nachhaltigkeit kann überwältigend sein, wenn man das Konzept als großes Ganzes betrachtet. Ich habe es erstmal auf einige für mich machbare Aspekte reduziert. Ich esse zum Beispiel nur noch in Ausnahmefällen Fleisch und kaufe viel regional. Ich kaufe außerdem fast ausschließlich Second-Hand und verkaufe oder spende auch konsequent Sachen, die ich selbst nicht mehr trage. Generell versuche ich mein Konsumverhalten nachhaltiger zu gestalten und nachhaltige Ideen zu unterstützen. Ich finde aber auch, dass man sich nicht überfordern sollte. Heutzutage wird von uns ständig Perfektion auf allen Ebenen abverlangt. Ich beschränke mich lieber auf einige Aspekte und bringe diese zu Ende.

Nachhaltigkeit bedeutet auch, in Stücke zu investieren, die man nicht nur ein paar Mal trägt, sondern die einen ein Leben lang begleiten.

Das ist ein guter Punkt. Du schließt den Zirkel der Nachhaltigkeit bei deinem Label damit, dass du zwei Prozent des Gewinns spendest. An wen?

Ich unterstütze eine ganz bestimmte Organisation, sie heißt PACT, sie betreibt im Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“. PACT bringt lokalen Gemeinden den nachhaltigen Umgang mit ihren Ressourcen bei und fördert den Aufbau einer autarken Infrastruktur. Ich habe mich für sie entschieden, weil ich so mit dem Verkauf meines Schmucks direkt dem Schaden von industriellen Minen in der dritten Welt entgegenwirken kann.

Dein Label gibt es ja noch nicht so lange. Wie sieht das Team aus, mit dem du momentan arbeitest?

Mein Team besteht zur Zeit nur aus mir, einer externen Buchhalterin und einer freien Mitarbeiterin. Vielleicht ist es bald Zeit, eine Praktikantin einzustellen, die sich zu einem festen Bestandteil meines Teams entwickeln kann. Alles step by step.

Du hast Jura studiert, bevor du deinen Weg in die Modebranche gefunden hast. Wie kam es dazu?

Ich bin in einer Akademikerfamilie groß geworden, in der auch an junge Erwachsene hohe Anforderungen gestellt wurden und die eigenen Wünsche oft in den Hintergrund traten. Da meine Mutter schon früh schwer erkrankte und alleinerziehend war, war es ihr besonders wichtig, dass ich einen Beruf erlerne, mit dem ich als Frau gut allein auf eigenen Beinen stehen kann. Ich hatte damals als 18-Jährige eine relativ naive Vorstellung von Jura, und dachte, es ginge nur um Recht und Gerechtigkeit. Während des Studiums machte ich dann ganz andere Erfahrungen und so war mir nach Abschluss meines Staatsexamens dann klar, dass das auf Dauer doch nichts für mich ist.

Respekt, du hast es trotzdem durchgezogen. Ist das auch dein Credo in Sachen Arbeit und Leben?

Ich habe einen Leitspruch, der mir schon durch wirklich schwere Zeiten geholfen hat: „Trust the process“, was sich in etwa in „Vertraue auf den Verlauf des Lebens“ übersetzen lässt. Dabei geht es darum, sich in Geduld zu üben, dem Leben und seinen Prozessen zu vertrauen und im Hier und Jetzt zu sein. Alles andere kann man sowieso nicht kontrollieren.

Welche Resonanz hast du bisher erhalten?

Für mich waren die Reaktionen nach dem Launch überwältigend. Es ist schon interessant, wenn man bedenkt, wie oft Branchen Profis mir erklären wollten, es gäbe keinen Markt für Nachhaltigkeit im Schmuckbereich. Das Gegenteil ist der Fall. Ich bin mehr als je von dem Konzept hinter Lilian von Trapp überzeugt und habe auch gelernt, dass sich Beharrlichkeit schlussendlich auszahlt.

Letzte Frage: Wie stellst du dir deine Zukunft vor?

Ich versuche mich wirklich auf das Jetzt zu konzentrieren. Natürlich ist es mein Ziel, das Label erfolgreich zu etablieren und das, was ich gerade mache auch noch lange weiter zu machen. Aber gerade bin ich einfach dankbar dafür, dass ich es mit Lilian von Trapp bis hier geschafft habe und freue mich auf die Reise, wohin sie auch führt. Als nächstes kommt im Juni die erste Kollektion mit Vintage Diamanten und im Augenblick konzentriere ich mich hauptsächlich darauf.

Lieben Dank für das Interview, Lilian! 

Fotos: Patrycia Lukas

Von Marie

Der erste Satz, wenn mich Leute kennenlernen ist: „Das ist aber selten.“ Ja, ich bin ein seltenes Exemplar: Berliner Eltern, Berliner Blut, Berliner Göre. Tatsächlich bin ich so sehr mit der Hauptstadt verbunden, dass ich meinem Kiez in Schöneberg seit über 20 Jahren die Treue halte und noch nie von hier weggezogen bin – und auch nicht dran denke. Und obwohl wir Schöneberger zwar sehr viel von Bio-Supermärkten und esoterischen Edelsteinläden halten, gibt es hier auch das ganz große Mode-Paradies: das KaDeWe. Der Tempel des Shoppings und der Ersatzkindergarten für meine Eltern, sozusagen das Småland bei Ikea für mich (andere Kinder haben dort ihren ersten Wutanfall, ich schmiss mich in voller Rage im Atrium des KaDeWe auf den Boden und weigerte mich zu gehen). Kein Wunder also, dass Mode und ich nie wirklich Berührungsängste hatten.

Spätestens seit der Oberstufe, in der ich – dank Blair Waldorfs Inspiration aus Gossip Girl (ja, das war meine Serie zusammen mit Gilmore Girls) – die Schule nie ohne Haarreif, Fascinator oder eine gemusterte Strumpfhose betrat, hatte auch mein Umfeld begriffen: Marie macht was mit Mode. Und weil ich damit in meinem katholischen "Elite-Gymnasium" so ziemlich die Einzige war, suchte ich meine Verbündeten 2011 woanders: im Internet. Auf meinem Blog Style by Marie. Und so begann meine modische Laufbahn.

Noch mehr Gleichgesinnte und vor allem Freunde fand ich auf der Akademie für Mode & Design in Berlin, bei der ich 2013 meine Ausbildung in Modejournalismus und Medienkommunikation startete. Was für mich seit der 1. Klasse klar war, nämlich das Schreiben mein Ding ist, wurde jetzt zu meinem Beruf: Journalistin. (Denn ja Oma, es gibt noch etwas anderes als Modedesignerin). Dank meines Blogs und einem Praktikum bei der Harper’s Bazaar Germany in der Online-Redaktion blieb ich auch dem Internet und dem Online-Journalismus treu. Und ratet mal, wo ich jetzt bin: Genau, bei Journelles, dem Blogazine, was alle meine Leidenschaften verbindet: Bloggen, Schreiben, online sein – zusammen mit euch!

Kommentare (9) anzeigen

9 Antworten auf „„Heutzutage wird uns ständig Perfektion auf allen Ebenen abverlangt“ – Interview mit Schmuckdesignerin Lilian von Trapp“

Sehr sehr interessant! Vielen Dank für das klasse Interview. Mir gefällt der Schmuck richtig gut. Liebe Grüße

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Journelles ist das grösste unabhängige Mode-Blogazine in Deutschland und wurde 2012 von Jessie Weiß gegründet. Die 37-jährige Unternehmerin legte 2007 den Grundstein für die Modeblogosphäre mit dem Netz-Urgestein LesMads und arbeitet seither als Journalistin, Moderatorin und Kreativdirektorin.