Konstantin Grcic interessiert sich nicht im Geringsten für Trends, er geht lieber seinen ganz eigenen Weg. Vielleicht zählt der Münchner gerade deshalb zu den einflussreichsten Designern unserer Zeit.
Grcic hat serbische Wurzeln, ist in München geboren und arbeitet inzwischen in Berlin. Zuvor hatte er vergangenes Jahr sein Designstudio in der bayrischen Landeshauptstadt aufgegeben. Der gelernte Schreiner absolvierte nach seiner Ausbildung ein Designstudium am Royal College of Art in London und war später Schüler des englischen Produktdesigners Jasper Morrison.
Anders als viele seiner Kollegen aus der Branche hat Grcic keine auf den ersten Blick erkennbare Handschrift. Vielmehr eint seine Entwürfe eine experimentelle Herangehensweise, mal sind seine Designs verspielt, dann wieder streng und pragmatisch. Zahlreiche Alltagsgegenstände hat der Industriedesigner in den vergangenen Jahren entworfen. Zu seinen bekanntesten zählen die May Day Leuchte, die bei der italienischen Marke Flos gefertigt wird, oder der Chair One, der aus der Zusammenarbeit mit Magis im Jahr 2003 entstanden ist.
Grcic verkörpert genau das, was wir uns alle so oft vornehmen und letzten Endes nur selten auch konsequent durchziehen. Seine „Ich-mach-das-was-mir-gefällt“-Einstellung ist bemerkenswert, das merkt man nicht zuletzt in unserem Interview.
Aktuell können wir seine neueste Arbeit, die Final Collector’s Edition, in Berlin begutachten, die gemeinsam mit smart entstanden ist. Bis 2020 stellt der Automobilhersteller das komplette Portfolio konsequent vom Verbrennungsmotoren auf den Elektroantrieb um. Doch bevor das passiert, präsentiert die Marke eine exklusive Sonderedition der letzten 21 Verbrenner – designt von Grcic höchstpersönlich. „Konstantin gilt als einer der wichtigsten Designer unserer Zeit. Seine Designs verbinden industrielle Ästhetik mit experimentellen Elementen, die mitunter schon auch mal irritieren können und dürfen. Dabei geht es ihm weniger um große Gesten, vielmehr um pragmatische, funktionale Designlösungen für die Herausforderungen im Alltag“, so Daniel Lescow, Leiter Marken- und Produktmanagement bei smart, über die Zusammenarbeit. „Gemeinsam mit Konstantin haben wir mit den letzten 21 Verbrennern ein ganz besonderes Kapitel in der Geschichte von smart gestaltet.“
Als uns zum Launch des Projekts ein Interview mit Konstantin Grcic angeboten wurde, waren wir natürlich sofort Feuer und Flamme. Und gespannt auf seine Gedanken über seine Arbeit, sein auf den ersten Blick widersprüchliches Verständnis von Design und auf den Mann höchstpersönlich. „Ich habe viele Fehler gemacht und mache ständig neue. Das Geheimnis ist, aus den Fehlern zu lernen. Aber das ist eigentlich kein Geheimnis.“ Im Gespräch wirkt er dagegen oft kryptisch – ein Interview der besonderen Art.
Herr Grcic, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Es war eine ereignisreiche Woche: Die Enthüllung der Final Collector’s Edition mit smart in Berlin und ein paar Tage später Ihr Geburtstag. Feiern Sie?
Meinen Geburtstag feiere ich eigentlich nie – aber nicht, weil ich ein Problem mit dem Älterwerden hätte. Im Gegenteil, ich mag mein Alter (jetzt 54). Vieles wird einfacher und klarer, wenn man eine gewisse Altersgrenze überschritten hat.
Ich habe vor unserem Interview viel über Sie gelesen: Geben Sie mir recht, wenn ich behaupte, dass sie ein Stratege, sehr pünktlich und zurückhaltend sind? Lieber schweigen Sie als etwas Falsches zu sagen, Sie sehen sich nicht als Künstler und formulieren ungern Ihre Träume, weil die wirklich spannenden Dinge aus dem Zufall entstehen.
Bei der „Zusammenfassung“ muss ich schmunzeln. Ja, ich erkenne mich darin wieder, obgleich es sich auch so anfühlt, wie die eigene Stimme auf dem Anrufbeantworter zu hören. Irgendetwas ist fremd. Was fehlt? All das, was sich ständig verändert.
Was fehlt, sind Hobbys: Sie sind sehr beschäftigt. Hatten Sie jemals Zeit für andere Aktivitäten, die nicht ihren Job betreffen?
Ich würde es nicht Hobbys nennen, aber natürlich habe ich auch Zeit für andere Dinge als Design. Wir könnten uns ausgiebig über den Stierkampf (in Spanien) unterhalten … oder über konkrete Kunst der 60er Jahre. Kennen Sie die Band The Devastations?
Noch nicht. Ist es nicht so, dass sie viel arbeiten?
Ich komme zwischen neun und halb zehn Uhr ins Büro, nachdem ich meine Tochter in die Kita gebracht habe. Und ich gehe um 18 Uhr. Alles sehr geregelt – als würde ich im Postamt arbeiten.
Arbeiten sie denn oft für sich allein?
Ja, ich brauche das Alleinsein besonders im frühen Stadium eines Projekts, wenn es darum geht, eine bestimmte Richtung oder Idee zu finden.
Sie haben einmal gesagt, dass Ihnen Recherche wichtig ist. Was müssen Sie vor dem Entwurf wissen?
Ich will alles über ein neues Projekt wissen. Je mehr ich weiß, desto freier bin ich im Entwurf.

Darf ich annehmen, dass Sie dabei versuchen, in die Zukunft zu blicken?
Recherche ist nicht unbedingt ein Blick in die Vergangenheit – sie richtet sich auf das, was jetzt ist, wie wir Menschen heute leben möchten. Und auch der Blick in die Zukunft ist eine Form der Recherche.
Wie sieht „gutes“ Design aus?
Wie es aussieht, weiß ich nicht, aber man kann es spüren. „Gutes“ Design schafft eine Verbindung zum Menschen. Es entsteht eine Form der Identifikation. Das hat etwas Magisches und wird deshalb als „gut“ empfunden.
Ihre Arbeiten werden meist als pragmatische, gradlinige Lösungen für Probleme des Alltags bezeichnet. Wie verbinden Sie Schönheit und Funktion?
Schönheit ist auch eine Funktion.
Ein tiefgründiger Satz, wie er so typisch für Sie ist. Sie haben vor Ihrem Designstudium eine Schreinerausbildung gemacht. Wie wichtig sind Ihnen Handwerk?
Dem Handwerk haftet eine gewisse Romantik an, mit der ich nichts anfangen kann. Trotzdem dient mir die handwerkliche Ausbildung immer noch als Grundlage für meine Arbeit.
Und inwiefern beeinflusst Sie heute ihre Ausbildung bei Jasper Morrison?
Jasper Morrison ist eine Art Kompassnadel für mich. Ich folge ihr nicht, aber es ist immer gut zu wissen, wo Norden ist.


Sprechen wir ein wenig über Ihre Arbeit: Ich glaube, dass Sie nach knapp 28 Jahren im Einsatz alles richtig gemacht haben. Was ist Ihr Geheimnis, um trotz wechselnder Trends und aufstrebenden Designern ganz oben zu bleiben?
Ich habe viele Fehler gemacht und mache ständig neue. Das Geheimnis ist, aus den Fehlern zu lernen. Aber das ist eigentlich kein Geheimnis.
Sehr beruhigend.
Ich habe keine Philosophie. Ich bin eher ein Esel, der es immer wieder versucht: Keep on keeping on (Bob Dylan).

Was hat sich in der Designwelt verändert, seitdem Sie angefangen haben und inwiefern spielt Digitalisierung eine Rolle?
Digitalisierung und Big Data bieten neue gestalterische Ansätze. Im Fokus stehen nicht mehr nur Vereinfachung und Reduktion. Auch maximal komplexe Lösungen sind heute möglich.

Stimmt es, dass Sie Möbel als Haustiere sehen? Es heißt, Sie unterhalten sich mit ihnen.
Ich spreche mit meinen Möbeln in Geheimsprache … und natürlich ist das, worüber wir reden, streng geheim.
Schade. Was glauben Sie: Wird man sich auch in Zukunft an Ihre Designs erinnern?
Erinnern? Das würde heißen, dass es dieses Möbel in der Zukunft nicht mehr geben wird? Wahrscheinlich wird man sich an die meisten meiner Möbel erinnern müssen – aber chair_ONE gibt es vielleicht auch in der Zukunft noch.
Ist der Stuhl auch Ihr bisheriges Lieblingsprojekt?
Ich mag STOOL-TOOL (Vitra), weil es ein ziemlich abstraktes Ding ist, das der Benutzer für sich erfindet.
Sie haben hauptsächlich Möbel designt. Was reizt Sie daran, in andere Felder zu gehen und zum Beispiel mit smart zusammenzuarbeiten?
Es macht Spaß, Dinge auszuprobieren, von denen ich keine Ahnung habe. Smart hatte die Anfangsidee; sie kamen auf mich zu, nachdem ich die „Smart mobile disco“ entworfen habe.
Was war daran so spannend?
Es ging um die letzten Autos mit Verbrennungsmotor. Vroom, vroom.

Es gibt theoretisch unendlich viele Möglichkeiten, Entwürfe zu optimieren. Wann sagen Sie „Jetzt ist es fertig”?
Mein linkes Knie befiehlt es mir.
Ich wünschte, mir würde mein Knie sagen, wie’s weitergeht. Gibt es denn ein Design, dass Sie heute wieder zurücknehmen oder überarbeiten wollen würden?
Zurücknehmen keines, aber überarbeiten eigentlich alle. Es gäbe immer irgendetwas zu verbessern. Wie gesagt, nur mein linkes Knie hatte ja befohlen, dass ich aufhören sollte.
Befassen Sie sich mit Kritik an Ihren Entwürfen oder wollen Sie sie einfach nur ungestört ausüben?
Konstruktive Kritik schätze ich sehr. Leider gibt es im Design wenig kritischen Diskurs. Schuld daran ist unter anderem, dass es heute wenig Plattformen gibt, auf denen qualifiziert und engagiert über das Thema diskutiert wird.
Instagram wäre wohl nicht die richtige Plattform dafür. Ich habe Ihren Account @konstantingrcicdesign gefunden, allerdings ohne Beitrag. Wie wichtig ist Ihnen Instagram?
Instagram?
Beenden wir das Gespräch, wie wir angefangen haben: Ich habe gesagt, dass Sie Ihre Träume ungern aussprechen. Trotzdem: Wovon träumen Sie noch?
Ich träume immer noch davon, ein Fahrrad zu entwerfen.

Danke für das interessante Interview, Herr Grcic!
Alle Bilder via PR
Text by Alexandra Kutek
7 Antworten auf „„Dem Handwerk haftet eine gewisse Romantik an, mit der ich nichts anfangen kann“ – Im Interview mit Konstantin Grcic, Industriedesigner“
Das Beste Interview, das ich auf Journelles je gelesen habe. Love!!!
Dankeschön! <3
geht mir leider nicht so… toller designer, sehr naive fragen, schade!
Welche Fragen hättest du denn gerne gestellt, bzw. beantwortet gewusst? Das wäre ein schönes, konstruktives Feedback gewesen, womit ein guter Journalist arbeiten kann.
Die Fragen waren schon gut, die Antworten leider äußerst knapp. Hätte gern mehr erfahren. Hatte er keine Lust auf das Interview?
Zuerst wollte ich abbrechen, aber dann habe ich gemerkt wie sehr man im Interview den Gesprächspartner erkennen kann und das macht es wirklich sehr spannend und anders. Toll.
Dankeschön! <3