Interview: Jule Müller von im gegenteil über ihr Engagement für die Geflüchteten in Berlin

Es gibt kaum jemanden in unserem Freundes-, Kollegen- und Bekanntenkreis, der sich in diesen Tagen keine Gedanken darüber macht, wie man den Geflüchteten in Hamburg, Berlin, München oder anderswo helfen kann – und gleichzeitig fassunglos die Nachrichten über Hass-Posts auf Facebook, brennende Flüchtlingsheime oder die Eskalation auf den griechischen Inseln verfolgt. Wie können wir helfen und

Es gibt kaum jemanden in unserem Freundes-, Kollegen- und Bekanntenkreis, der sich in diesen Tagen keine Gedanken darüber macht, wie man den Geflüchteten in Hamburg, Berlin, München oder anderswo helfen kann – und gleichzeitig fassunglos die Nachrichten über Hass-Posts auf Facebook, brennende Flüchtlingsheime oder die Eskalation auf den griechischen Inseln verfolgt.

Wie können wir helfen und Stellung beziehen? Reicht es, wenn man Klamotten, Shampoo und Stofftiere spendet? Eine Frau, die uns dieser Tage extrem beeindruckt, ist unsere Kollegin Jule Müller.

Die Gründerin des Online Single Magazins im gegenteil dokumentiert auf ihrem Instagram-Account ihre Erfahrungen als freiwillige Helferin auf dem Gelände des Landesamt und für Gesund und Soziales (LaGeSo) in Berlin-Moabit. Auch auf ihrem Blog zeigt Jule, wie der Alltag in dem Lager aussieht – und schickte im gegenteil sogar zeitweise in die Sommerpause, um vor Ort noch mehr helfen zu können.

Sicherlich ist so ein Thema auf einem Modeblogazine wie Journelles ungewöhnlich, aber wir können nicht die Augen davor verschließen, was in unserem Land passiert – und wir wollen mehr tun, als nur Kosmetikprodukte oder Geld zu spenden. Unser Interview mit Jule und allerlei Anleitung, wie man sich einbringen kann, lest ihr hier:


Liebe Jule, wir sind über deinen Instagram-Account auf dein Engagement aufmerksam geworden und bewundern sehr, was du machst. Im Moment stellen sich ja alle die Frage, wie man den Flüchtlingen sinnvoll helfen kann. Wie bist du aktiv geworden?

Ich sehe mich eher als unpolitisch und hatte vorher keinen großen Kontakt mit Geflüchteten. Als die ganze Sache in den Medien so hochgespielt wurde, bin ich zusammen mit meiner Mitbewohnerin zu dem LaGeSo-Gelände nach Moabit gefahren, um zu fragen, was die Geflüchteten konkret brauchen. Wir wollten das dann kaufen, abgeben und wieder nach Hause gehen. Vor Ort waren die Organisation der Helfer und die Zustände so chaotisch, dass wir sofort für einfache Hilfsarbeiten, wie Essen verteilen oder Müll aufheben, eingespannt wurden. Zehn Stunden später standen wir immer noch da und waren zum einen positiv von der großen Hilfsbereitschaft der Berliner überrascht, zu anderen schockiert über die Geschichten, die wir gehört und die Menschen, die wir gesehen haben. Am nächsten Tag sind wir wieder hin. Und an den darauffolgenden Tagen auch. Das war vor einem Monat.

Das klingt relativ unkompliziert: Einfach hingehen und helfen?

Für mich war es ein innerer Drang zu helfen: Wir haben in den ersten zwei Wochen 15-Stunden-Schichten ab 8 Uhr morgens geschrubbt. In den ersten Tagen gab es Ausschreitungen auf dem Gelände: Es war 38 Grad heiß, die Wasserversorgung war nicht gewährleistet und es gab medizinische Notfälle. Die Helfer haben blind Dinge auf das Feld getragen, weil es noch keine Struktur gab. Das führte zu viel Unruhe, die Polizei musste oft eingreifen. Inzwischen läuft das alles geordneter ab. Eine offizielle Organisation hat das Management vor Ort übernommen, ist aber an vielen Enden auf die Hilfe der Ehrenamtlichen angewiesen. Auf das LaGeSo-Gelände kann man also jeden Tag gehen, weil es nicht immer genügend Helfer für die Essens- und Wasserausgabe, Übersetzungen oder Spendenannahme gibt. Und für den Fall, dass man wieder weggeschickt wird, weil schon genug vor Ort sind – umso besser. Dann guckt man sich den Platz mal an, zieht seine eigenen Schlüsse und fährt wieder nach Hause.

Hattest du denn gar keine Berührungsängste?

Doch, ich spreche ja auch kein Arabisch oder Farsi. Deshalb empfehle ich jedem, der mich fragt, wie man helfen kann, dort einfach mal hinzufahren, sich hinzusetzen und mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Man bekommt sehr schnell ein Verständnis für die Menschen und die Situation vor Ort. Das Ganze einmal mit seinen eigenen Augen zu sehen, hilft, dass man seine Freunde und Kollegen besser informieren kann. Es bringt auch schon was, wenn jeder am Wochenende ein, zwei Stunden hilft. Geld spenden ist auch toll – es geht sofort an die Menschen, zum Beispiel in die Bananen am Morgen oder BVG-Karten, damit die Geflüchteten legal von A nach B kommen.

Wie hast du dein großes Engagement mit deinem Job bei im gegenteil vereinbart?

Für mich war die Hilfe erst einmal wichtiger. im gegenteil ist zwei Wochen in „Sommerpause“ gegangen und zwar mit der Begründung, dass wir uns vor Ort engagieren möchten. Das Bloggertum kam mir auf einmal etwas sinnlos vor – es ist immer noch mein Leben und meine Passion, aber wenn Menschen wirklich Hunger leiden, medizinisch versorgt werden müssen und verzweifelt sind, hat das Alles erst einmal keine große Relevanz mehr.

Was für Leute hast du auf dem Gelände kennengelernt und wie hast du dich mit ihnen verständigt?

Das war eine besonders Herausforderung. Vor dem Amt stand zum Beispiel ein Mann mit einem Zettel, auf dem der Name eines Dorfes in Niedersachsen geschrieben war und ich musste ihm erklären, wie er mit drei verschiedenen Regionalzügen dorthin kommt, weil er nur dort aufgenommen wird. Inzwischen arbeiten wir mit Google Translate oder einem Zeigewörterbuch. Man findet aber auch immer einen Übersetzer vor Ort oder einen Geflüchteten, der ein paar Wörter Englisch, Französisch oder sogar ein bisschen Deutsch spricht. Dann erklärt man es dem einen und der erklärt es weiter. Die Geflüchteten sind dankbar für die Hilfe und helfen sich auch untereinander. In den ersten Tagen wurde ich gefragt, ob ich Geld dafür bekomme, dass ich den Müll aufsammele. Als ich mit Nein geantwortet habe, haben die Menschen verstanden, dass ich einfach nur helfen möchte. Das spricht sich rum und sorgt für ein wenig Entspannung vor Ort.

Woher kommen die Menschen, denen du hilfst?

Ein großer Teil aus Syrien, viele Leute aus Albanien und den Ostblockstaaten, Nordafrika und Pakistan. Die Menschen aus Albanien und Serbien werden relativ schnell wieder abgeschoben, die aus aus Syrien, Eritrea und Afghanistan dürfen zu fast 100% hier bleiben. Bei mir zu Hause wohnt ein junger Mann aus Somalia. In Mogadischu herrscht seit 20 Jahren Bürgerkrieg. Er erzählte mir, dass er sein Land liebt und alles dafür tun würde, dort leben zu können, aber es geht nicht: Er kann nicht studieren und kein normales Leben führen, er hat Angst um seine Familie und sich selbst, er möchte keine Toten mehr sehen. Die Chance, dass er in Deutschland bleiben darf, ist nach meinem jetzigen Wissensstand trotzdem eher gering.

Dass Menschen den Flüchtlingen bei sich zu Hause einen Schlafplatz anbieten, liest man dieser Tage auch immer wieder. Der Berliner Journalist Andreas Toelke (dazu hier ein Artikel auf Stern.de) macht das zum Beispiel auch. Hattest du da keine Bedenken? Immerhin sind das wildfremde Menschen. Und wie läuft so etwas überhaupt ab? Muss man das beim Amt anmelden oder kann man die Leute einfach zu sich nach Hause einladen?

Wenn man es offiziell über das Amt macht, wird es einem schwer gemacht. Eine Bekannte von mir wollte ihre Wohnung zur Verfügung stellen, während sie im Urlaub ist. Das Amt hat gesagt, wenn sie keine zweite Toilette habe, eine für sich, eine für die Geflüchteten, geht es nicht. Die Wohnungen müssen offiziell abgenommen werden, das dauert aber zu lange.

Das LaGeSo-Gelände schließt um 19 Uhr und bleibt auch das ganze Wochenende geschlossen. Familien, Frauen und Kranke werden inzwischen ziemlich zuverlässig in Notunterkünfte untergebracht. Wer aber durch das Hilfsnetz fällt, sind junge Männer zwischen 18 und 30 Jahren, wobei gefühlt 80 % der Menschen, die in Deutschland ankommen, junge Männer sind. Da sagt man: „Die sind jung und fit – die können auch im Park schlafen.“ Für mich ist das absolut unverständlich. Es werden zwar auch Hostel-Gutscheine verteilt, aber die machen die Menschen in den meisten Fällen sofort obdachlos.

Weil die Hostels die Flüchtlinge nicht reinlassen?

Die Hostels sind fast immer ausgebucht. Ich habe mich ein Wochenende lang hingesetzt und über 100 Adressen angerufen. Zudem hat das Land Berlin bei vielen dieser Unternehmen offene Rechnung. Verständlich, dass die Chefs sagen, sie können es sich nicht leisten, weitere Geflüchtete bei sich schlafen zu lassen. Und sicherlich gibt eine albanische Großfamilie, bei der die Kinder keine Schuhe tragen, im Frühstücksraum den Touristen kein gutes Gefühl.

Die einzige Alternative, die Leute unkompliziert unterzubringen, ist also privat. Vor dem LAGeSo-Gelände stehen jeden Abend von 20 Uhr bis in die Nacht hinein junge Mädchen, allen voran Sahra und Samira, beide Anfang 20, und kümmern sich um private Unterkünfte für die Geflüchteten. Die holen die Leute aus dem Park, versorgen sie mit Essen und Trinken und telefonieren eine Liste ab, mit Menschen, die privat Zimmer zu Verfügung stellen. Sie organisieren Fahrer und leisten Überzeugungsarbeit, dass die Geflüchteten mitgehen. Viele haben monatelange Wege hinter sich und Angst, dass sie am nächsten Tag nicht wieder pünktlich beim Amt stehen oder heimlich abgeschoben werden.

Das Szenario am Abend ist eine große psychische Belastung, weil es einfach jeden Tag viel zu viele Menschen gibt, die versorgt werden müssen. Wenn man das einmal gesehen hat, stellt sich einem die Frage mehr, ob man zu Hause etwas näher zusammenrückt.
In den letzten Tagen ist die Abholung der Obdachlosen am Abend und vor dem Wochenende durch Busse, die in Notunterkünfte fahren, viel besser geworden. Das Ziel der Helfer war es, die Hilfslücke vorübergehend zu füllen, bis der Senat endlich mal mit neuen Lösungen um die Ecke kommt. Das hat zwar knapp vier Wochen gedauert und wir sind noch nicht zufrieden mit allem, aber es geht vorerst in die richtige Richtung.

Sofian (rechts) ist von seiner Heimat Ägypten nach Libyen, mit dem Schlepperboot nach Lampedusa, von dort aus nach Rom, das er sehr schön fand, und über Zürich und Frankfurt dann nach Berlin. Das hat zwei Monate gedauert. Seine Familie vermisst er sehr. Er ist 22. Als wir Hamdi (links) voller Erfurcht fragten, wie er von Somalia nach Deutschland gekommen sei, sagte er ganz selbstverständlich: „Mit Flugzeug.“ Dass seine Mutter, die nach Dubai geflohen ist, ihm das Ticket zahlen konnte, ändert aber nichts daran, dass er mit fünf Jahren das erste von vielen Massakern des Bürgerkriegs in Mogadischu mit ansah. „Al-Quaida ist Problem.“ Wenn man Bilder von Mogadischu googelt, ahnt man, was er meint. Hamdi ist 19. Die zwei haben sich vorm LAGeSo kennengelernt und halten nun zusammen. Inzwischen sprechen sie nur noch Deutsch miteinander. Wenn ich die beiden morgens im Nachbarzimmer lachen höre, geht mir das Herz auf. Dass wir trotz Kostenübernahme keinen freien Hostelplatz finden können, verdrängen wir erst mal. Jetzt ist Wochenende und am Montag Fußball. <3 Die beiden finden übrigens, dass ich voll die gute Hausfrau bin, nur mal so. #refugeeswelcome #meinekleinewg #irgendwannschminkeichmichwieder #versprochen

Ein von JULE MÜLLER (@jule_mueller) gepostetes Foto am

Wie kann man sich deine WG vorstellen?

Nach zwei Wochen jeden Tag 15 bis 16 Stunden war ich körperlich und seelisch erst einmal am Ende. Ich wurde krank und war zu Ruhe gezwungen. Meine Mitbewohnerin war im Urlaub und die Wohnung leer – das habe ich nicht ausgehalten. Also habe ich alles fertig gemacht, Zahnbürsten, Deos usw. gekauft und bin sicherheitshalber mit einem Freund zum LaGeSo-Gelände gefahren. Denn egal, wie leid einem die Menschen tun, es sind trotzdem fremde Männer und ich war nicht frei von Horror-Szenarien, die ich mir ausgemalt habe.

Wir haben eine 4er-Gruppe Jungs auf zwei Wohnungen aufgeteilt, zwischenzeitlich wohnten dann alle bei uns. Wenn die Geflüchteten in Deutschland ankommen, sind sie körperlich oft am Ende. Ich wollte ihnen einfach ein Bett geben und sie nicht mehr draußen schlafen lassen. Es ist toll zu sehen, wie die Jungs aufblühen, wenn sie drei, vier Nächte durchgeschlafen und ordentlich gegessen haben. Sie unterstützen sich gegenseitig, sprechen Deutsch miteinander und teilen ihre wenigen Klamotten. Das rührt mich sehr. Gerade rotieren die vier Jungs zwischen einem Hostel und zwei Wohnungen, das entlastet uns als Helfer ein wenig.

Klingt so, als hätten sie, aber auch du, neue Freunde gefunden?

Vor zwei Wochen haben wir uns eine riesige Pizza geteilt und beschlossen, dass wir nun eine Familie sind. So fühlt es sich auch an. Ich habe fast Muttergefühle, weil die Jungs deutlich jünger sind. Und auch wenn sie nicht mehr jede Nacht bei uns schlafen, kommen sie oft vorbei, um „abzuhängen“ – wir sehen uns eigentlich täglich. Eine deutsche Person zu kennen, ist wichtig für die Geflüchteten. So haben sie die Chance, schneller Deutsch zu lernen, sich mit unserer Kultur vertraut zu machen, wichtige Kontakte zu knüpfen und ihre Sorgen teilen zu können. Man kennt das ja selbst: Alleine in der Fremde macht’s auch einfach keinen Spaß.

Inwieweit hat dich diese Erfahrung persönlich verändert? Könntest du dir vorstellen, den Beruf zu wechseln?

Vielleicht. Wir gründen gerade einen Verein, der eine Nische bedienen soll, die so noch nicht besetzt ist. Ich habe über Facebook einen Spendenaufruf für BVG-Tickets gestartet, auf den es so viel Feedback von Menschen aus Medienberufen bekommen, die durch ihre Kontakte, Wissen und Finanzen gerne tätig werden. Die schnelle Hilfe, die ich in dem Fall sofort erhalten habe, hat uns alle gerührt und ist sicher noch ausbaufähig.

Wie erklärst du dir diesen krassen Gegensatz: In Sachsen zünden Nazis Flüchtlingsheime an, anderenorts gibt es enorme Hilfsbereitschaft. Rechnen die Menschen mit Fremdenhass, wenn sie hier ankommen?

Die meisten hoffen, erst einmal in Deutschland Fuß zu fassen und ein normales Leben führen zu können. Kaum einer ist darüber ausreichend informiert, welche Länder vom Staat als sicher eingestuft werden und wohin man wieder abgeschoben wird. Alle wollen nach Deutschland, weil es als ein gutes und starkes Land gilt und die Menschen hier die besten Chancen auf Bildung und ein sicheres Leben haben.

Die meisten Geflüchteten wissen, was Pediga und was Nazis sind und möchten auf keinen Fall nach Sachsen, weil es dort ihres Wissens nach schrecklich sein soll. Aber die Menschen sind aus ihren Ländern ganz andere Zustände gewöhnt. Manche sagen: „Ich komme aus Kobane, was sollen mir die paar Pegida-Leute hier anhaben?“ Wenn mir allerdings nach 16 Stunden Arbeit auf dem LaGeSo-Gelände so ein Arschloch mit Deutschland-Fahne entgegen kommt, könnte ich ausrasten.

Unsere Generation hat jetzt die Chance zu beweisen, dass wir nicht so apolitisch sind, wie alle denken, dass wir ein Herz haben und dass wir Fremdenhass in unserem Land nicht akzeptieren.  

Jule, was für ein gutes Schlusswort, aber ich muss dich noch um deine Einschätzung bitten: Wie geht es deiner Meinung weiter? Ist das jetzt nur „in“ zu helfen und in vier Wochen interessiert sich niemand mehr für die Flüchtlinge?

Wir haben große Sorge wegen des bevorstehenden Winters. Solange die Stadt es nicht schafft, das LaGeSo-Gelände zu ordnen, wo die Menschen noch immer bis zu vier Wochen täglich ungeschützt darauf warten, dass ihre Wartenummer aufgerufen wird, traue ich ihnen die Koordination bei Kälte und Schnee auch nicht zu. Ich denke, dass die Ehrenamtlichen weiterhin am Thema dran bleiben und bereit sind auch längerfristig zu helfen. Der Flüchtlingsstrom wird nicht abreißen und nimmt gerade im Herbst und Winter noch einmal zu, weil zum Beispiel in den Ostblock-Staaten die Saisonarbeit abnimmt. Der Senat muss in die Gänge kommen. Angeblich wurden drei Millionen Euro Soforthilfe bewilligt. Ich sehe gerade aber nicht, wo die hingeflossen sein sollen.

Macht Helfen süchtig? Oder anders gefragt: Was gibt dir die Kraft weiterzumachen?

Es ist tatsächlich eine Art Sucht, aber nicht für einen selber, sondern für andere. Man gibt etwas Gutes und die Menschen brauchen das, deshalb kann man nicht aufhören. Dieses starke Gebrauchtwerden lässt einen immer weiter arbeiten. In den ersten Wochen konnte ich nicht einschlafen, wachte nach ein paar Stunden Schlaf mit sehr viel Adrenalin im Blut auf und wollte sofort weitermachen. Ich las ununterbrochen Beiträge und Aufrufe bei Facebook und informierte mich in den Nachrichten.

Als ich wieder etwas mehr Platz für mein eigenes Leben ließ, fühlte ich mich wahnsinnig deprimiert. Die Gefühle holten mich ein und ich musste erst einmal anfangen, die Eindrücke zu verarbeiten. Kaum einer der freiwilligen Helfer ist für die Seelsorge, die vor Ort geleistet wird, ausgebildet: Es gab Suizidversuche, Stichwunden, eine Fehlgeburt, Blutvergiftung und Nervenzusammenbrüche. Daneben stehen Schüler, Rentner, Arbeitslose, Muttis, Hippies, selbst Geflohene und Normalos, die sich nicht wegdrehen, wenn jemand Hilfe braucht. Für mich sind das sehr inspirierende Menschen, die mir und den Wartenden am LaGeSo-Gelände unheimlich viel Mut für die Zukunft geben.

Vielen Dank für das Interview, liebe Jule!

Welche Erfahrungen habt ihr gemacht, welche Links könnt ihr empfehlen? Wir freuen uns auf eure Kommentare!

Anbei eine Link-Sammlung, die wir für euch zusammengestellt haben und im Laufe der nächsten Tage aktualisieren. Lest dazu auch diesen Artikel auf Edition F.

Wer einen Schlafplatz zu vergeben hat, kann sich zum Beispiel hier anmelden.

Wenn ihr Geld spenden möchte, hier direkte Links zu den wichtigsten Hilfsorganisationen:

Welche Hilfsprojekte in eurer direkten Umgebung sind, ist auf dieser interaktiven Karte bei der Tagesschau zu sehen.

Von Alexa

Ich liebe schreiben, bloggen und schöne Dinge zu entwerfen, also mache ich all das.

Als Journalistin habe ich für Magazine und Zeitungen wie Business Punk, Fräulein, Gala, FTD/how to spend it, Instyle, Lufthansa Magazin, Stern, Tagesspiegel, Vanity Fair und zitty gearbeitet. Meine Online-Erfahrungen habe ich u.a. Stylebook und styleproofed gesammelt. Mein Blog heißt Alexa Peng, mein Schmuck-Label vonhey. Ich komme aus dem Rheinland und bin in einem Dorf am Waldesrand aufgewachsen, wo nur einmal in der Stunde ein Bus fuhr. Da muss man sich was einfallen lassen, um sich nicht zu langweilen. Meine Tante hatte in der Stadt eine Boutique und einen Schrank voller Kleider, Schuhe und Taschen, mit denen wir Kinder verkleiden spielen durften. Wir haben Modenschauen im Hobbykeller veranstaltet und die ganze Nachbarschaft eingeladen. Dass ich mal was mit Mode machen würde, war also klar. Nach dem Abi habe ich an der AMD in Hamburg Mode-Journalismus studiert und später an der UdK in Berlin einen Master of Arts in Kulturjournalismus gemacht. In Zukunft will ich mein Label weiteraufbauen, die Welt sehen und gute Geschichten schreiben.

(Foto: Sandra Semburg)

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4 Antworten auf „Interview: Jule Müller von im gegenteil über ihr Engagement für die Geflüchteten in Berlin“

Ich hoffe sehr, dass die Hilfsbereitschaft anhält und sich mehr Menschen trauen, in echt und mit eigener Kraft zu helfen, anstatt „nur“ zu spenden. Es ist so enorm wichtig, dass die Gesellschaft merkt, dass dort Menschen ankommen wie wir. Deshalb ist es übrigens auch sinnvoll, nicht von Flüchtlingen, sondern von Geflüchteten oder Vertriebenden zu sprechen (wie Jule es auch tut). Flüchtlinge klingt nach Naturkatstrophe oder einer Tierart… Jedenfalls nicht nach Menschen.

Empfehlen kann ich noch
http://www.kommenundbleiben.de/
die Seite wurde von Studenten der Kunsthochschule Weißensee gegründet und ist eine tolle Anlaufstelle für alle, die helfen wollen oder Geflohen sind und Anschluss suchen.
Außerdem noch http://kreuzberg-hilft.com/
– als ich zuletzt da war waren es beinahe zu viele Helfer, was wirklich super ist!

Kommt aus eurer Blase raus, man darf die Augen nicht länger verschließen, auch wenn man „es nicht mehr hören kann“ – es ist die Realität! Wenn wir nichts tun, passiert gar nichts, die Politik verschlimmbessert ja nur.

Werte Jule,

ich weiß das es zur Zeit nicht opportun ist aber ich habe Angst, Angst vor diesen Aussagen “wobei gefühlt 80 % der Menschen, die in Deutschland ankommen, junge Männer sind” … und bei aller Euphorie gestatte ich mir, diese Angst zu haben… ich hoffe inständig, das die junge Generation, die jetzt hilft auch bereit sein wird für den Diskurs, wenn es darum geht, unsere freiheitsliebende Gesellschaftsidee zu verteidigen und dieser Prozess wird nicht nur das nächste Jahrzehnt in Anspruch nehmen…

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Journelles ist das grösste unabhängige Mode-Blogazine in Deutschland und wurde 2012 von Jessie Weiß gegründet. Die 37-jährige Unternehmerin legte 2007 den Grundstein für die Modeblogosphäre mit dem Netz-Urgestein LesMads und arbeitet seither als Journalistin, Moderatorin und Kreativdirektorin.