„Was würdest du machen, wenn du keine Angst hättest? Das Erste, was mir in den Kopf geschossen kam, war: Glitzernagellack“– Im Interview mit Jennifer Baum von gitti

Wie Jenny mit veganen, wasserbasierten Nagellacken eine It-Brand gründete

Das Thema Nachhaltigkeit ist dauerpräsent und aus den Nachrichten nicht mehr wegzudenken. Die Dringlichkeit, etwas zu ändern, rückt immer mehr ins alltägliche Bewusstsein und lässt uns Dinge hinterfragen, egal ob es der Lebensmitteleinkauf, die Nutzung von Auto und Flugzeug oder die Produktion unserer Kleidung ist. Wir suchen nach Alternativen und stellen bisherige Gewohnheiten in Frage.

Für immer mehr Lebensbereiche werden nachhaltigere und umweltschonendere Gegenangebote entwickelt. Auch im Bereich der Kosmetik hat sich in Zeiten der Klimadiskussion ein regelrechter Boom an Naturkosmetik und auf Pflanzen basierter Pflege abgezeichnet. Auch Jennifer Baum inspizierte die Produkte in ihrem Badezimmer genauer und nach langen Recherchen über giftige Stoffe und Hormonwirksamkeit von Nagellacken, stand ihre Mission fest: Sie wollte ihre Leidenschaft für Glitzerlack mit einem nachhaltigen Lifestyle verbinden.

Seit fast zwei Jahren gibt es nun gitti, das mit veganen und wasserbasierten Nagellacken den Beauty-Markt revolutioniert. Im Interview erzählt sie von den ersten Anfangsschwierigkeiten als Gründerin, der Entwicklung ihrer Nagelfarben und wie sie ihre Marke mithilfe von Instagram zur It-Brand macht.

Erzähl uns von deinem Werdegang! Was hast du gelernt? Was hast du vor gitti gemacht?

Ursprünglich komme ich aus der klassischen Konzernwelt und habe da eine klassische Karriere gemacht. Ich war bei Henkel und Coca-Cola,  zuletzt als eine der jüngsten Frauen auf meiner Managementebene für Women in Leadership Programme in 13 europäischen Ländern verantwortlich. Davor habe ich Medienwirtschaft studiert und einen Master in Barcelona gemacht. Während meines Studiums in Köln habe ich fürs Radio, für eine Zeitung, eine TV Produktionsfirma und einen Fernsehsender gearbeitet, also in alles was die Medienlandschaft zu bieten hatte reichgeschnuppert.

Ich hatte großes Glück und konnte mir auch eine Reise gönnen. In 13 Monaten bin ich um die Welt gereist und habe in dieser Zeit ziemlich viele Jobs gemacht, um die Reise zu finanzieren. Es war toll. Einen Monat später hatte ich dann ein Dinner mit Freunden in Berlin, als mich jemand am Tisch fragte: was würdest du machen, wenn du keine Angst hättest? Das Erste, was mir in den Kopf geschossen kam, war: „Glitzernagellack“ – und ja: Ich hatte den gleichen „Fremdschäm“-Moment und habe mich daher auch nicht getraut, was zu sagen.

Aber in der Nacht konnte nicht schlafen, habe meinen Rechner geschnappt, mich in die Küche gesetzt und angefangen zu recherchieren: das erste Mal in meinem Leben über Nagellack.

Wann wurde dir klar, dass du eine eigene Beauty-Marke gründen willst?

Seit dieser Nacht, im Januar 2018, bin ich „on fire“ – habe von einem auf den anderen Tag meinen Job gekündigt und wochenlang alles über Nagellack und Inhaltsstoffe recherchiert, herausgefunden, wie schädlich traditioneller Nagellack noch sein kann (mit Inhaltsstoffen, die krebserregend oder giftig sind und sich bereits zwei Stunden nach Auftragen auf unseren Hormonhaushalt auswirken können.) Seitdem ist meine Mission klar: Das will ich ändern! Ich will Nagellack besser machen: Für Euch; unsere Umwelt!

Wie waren deine Anfänge?

Aufregend und mit vielen schlaflosen Nächten, das auf jeden Fall. Ein neues Produkt auf den Markt zu bringen, eine Marke zu entwickeln und ein Unternehmen zu gründen hält gut auf Trapp. Und es hat sich natürlich auch einiges verändert und für mich hat es bedeutet, auch auf einen Lifestyle, den ich vorher hatte, zu verzichten.

Wie hast du die Gründung finanziert?

Gestartet bin ich mit Eigenkapital, dass ich in gitti und meine Vision gesteckt habe. Dazu habe ich ja ziemlich am Anfang durch den Gewinn bei GRACE ein Beratungspaket bekommen, dass mir stark geholfen hat.

Und durch meinen ersten Business Angel wurde dann die erste Kollektion ermöglicht.

Du hast als Alleinunternehmerin gestartet. Wie groß ist das Team heute?

Wir sind aktuell 7 Frauen inklusive einer Praktikantin und einer Werkstudentin – im Januar bekommen wir Verstärkung dazu. Mir ist es wichtig, dass wir ein Frauen-Team sind. In Deutschland gibt es aktuell nur 15% weibliche Gründerinnen und weniger als 30% Frauen in Management Positionen. Die Förderung muss daher aus meiner Sicht ganz früh anfangen. Daher war es immer mein Wunsch, junge weibliche Talente noch stärker zu fördern. Wir sind wirklich ein super Team mit wahnsinnig coolen Frauen.

Du hast dich mit gitti auf den heiß umkämpften Kosmetikmarkt gewagt – wie habt ihr da zunächst Beachtung gefunden?

Wir haben eine Innovation in der Industrie geschaffen: die erste wasserbasierte, vegane Nagelfarbe. Durch unsere neue und einzigartige Formel haben wir eine tolle Aufmerksamkeit bekommen. Dazu ist gitti weit mehr als nur eine schöne Nagelfarbe: wir haben eine starke Mission & Werte, die uns antreiben. Das spüren auch unsere Kunden*innen und gehen die Reise zusammen mit uns.

Über welche Kanäle hast du deine Kundinnen angesprochen? Und wie nutzt du Social Media für deine Marke?

Gitti is born on Social Media. Instagram ist dabei unser Hauptkanal: wir sind offen, ehrlich und direkt. Ich bzw. wir glauben, dass unsere Kunden*innen uns folgen, weil sie genau wie wir weiter lernen wollen und interessiert daran sind, neue Produkte zu probieren, die nachhaltig sind und sich in dieser Richtung weiterentwickeln. Wir teilen unsere Ideen und zeigen, wie wir arbeiten. Unsere Follower sollen dabei alles mitbekommen, Ups und Downs. Wir sind nahbar und freuen uns über jedes Feedback. Unsere Reise ist offen zugänglich und wir wachsen mit der Community. Zudem nutze ich für mich auch andere Kanäle, um meine persönliche Geschichte zu erzählen und zu teilen.

Darüber hinaus nehmen wir an Events teil, die unsere Werte und Mission teilen. So waren wir im Herbst 2019 beim Female Future Force Day von EditionF vor Ort. Ein tolles Event für Female Empowerment. Dort haben wir bestehende Kunden*innen getroffen, aber auch viele neue gewonnen, das freut uns sehr und der Support der Veranstalterinnen ist sehr bedeutsam für uns. Uns ist es wichtig, dass gitti für alle da ist!

Wie macht man aus einer neuen Kosmetik- eine It-Brand?

Das kommt von ganz allein. Nein, das ist natürlich Quatsch. Es ist viel Arbeit und wir sind rund um die Uhr mit gitti beschäftigt. Es ist wichtig sich immer auszutauschen und links und rechts zu gucken, was passiert. Wir hören auf unsere Community, der Austausch ist durch nichts zu ersetzen. Außerdem bringt eine It-Brand eine Innovation mit, etwas, was noch nie da gewesen ist. Und wir arbeiten mit Partnern, die Experten auf ihrem Gebiet sind.

Was war bis heute die größte Herausforderung?

Es gibt so viele Herausforderungen: jeden Tag aufs Neue. Die Kunst ist, bei all dem nicht den Kopf zu verlieren und seinen Fokus zu behalten. Zudem ist es wichtig, mit der eigenen Energie gut zu haushalten. Das Ganze ist ein Marathon, den läuft man nicht im Sprint. Für mich ist es enorm wichtig, dass ich meine Auszeiten habe, um Energie zu tanken. Das tue ich beim Sport, beim Yoga, Meditieren oder Kochen mit meinem Mann. Naja, ich schaue beim Kochen zu und ‚schnibbel‘ – mein Mann kocht.

Was begeistert dich aktuell an der Beauty-Branche?

Beauty ist für mich Ausdruck von Individualität. Farben sprechen für Emotionen, daher bin ich auch ein riesiger Fan von Nagelfarben. Da sich damit so viel mehr aussagen lässt, als nur „hübsche“ Nägel. Zudem bin ich ein riesengroßer Fan der Naturkosmetik Industrie und der Forschung an neuen, natürlichen Inhaltsstoffen. Ohne diese Bewegung hätten wir gitti nicht entwickeln können.

Deine Nagellacke sind geruchsneutral und basieren auf Wasser. Wie hast du sie entwickelt? Und wie lange?

Wir nennen die gitti Produkte Nagelfarbe, eben weil gewisse giftige Stoffe wie in herkömmlichen Nagellacken nicht mehr enthalten sind. Die Entwicklung hat insgesamt mehr als 1,5 Jahre gedauert. Wir wollten ganz klar Probleme lösen, zum Beispiel auf besagte giftige Stoffe zu verzichten und haben mit dem natürlichsten aller Stoffe als Basis begonnen: Wasser.

Wie und wo werden die Nagelfarben produziert?

Unser Labor ist in Frankreich. Mit ihnen arbeite wir an den innovativen, nachhaltigen Formulierungen. Die Abfüllung passiert dann mit unserem deutschen Partner. Für uns war es ganz wichtig, dass die komplette Herstellung in Europa stattfindet und wir kurze Transportwege haben.

Welche Rolle spielt das Packaging?

Für uns ist es wichtig, dass unser Packaging das Gefühl unserer Marke verkörpert. Bei gitti ist dies rein und klar, daher ist auch unser Packaging minimalistisch. Wir arbeiten im Hintergrund an einer Veränderung, das Packaging noch nachhaltiger zu gestalten. Darauf liegt im neuen Jahr ein großer Fokus bei uns.

Welche Farbe ist das meist verkaufte Produkt in Deutschland?

Unsere Kunden*innen lieben alle Beige- und Rottöne. Im nächsten Jahr kommen tolle neue Rose und Coral Töne hinzu. Wir überraschen aber auch mit neuen Sondereditionen, die für alle gemacht sind, die sich etwas trauen mit ihren Nägeln.

Musstest du mit gitti viel Aufklärungsarbeit leisten oder waren die Kundinnen offen und hatten Lust auf einen anderen Typ Nagellack?

Wir haben natürlich voll ins Schwarze getroffen, da seit einigen Jahren ein Umdenken im Bereich Konsum und Nachhaltigkeit stattfindet. Daher hatten wir das Glück, dass unsere Kunden*innen große Lust hatten innovative Produkte auszuprobieren. Ein super Pluspunkt war natürlich von Anfang an, dass gitti geruchsneutral ist. Denn wer kennt nicht die gerümpften Nasen zu Hause, im Büro, im Zug oder sonst wo.

Welchen Tipp würdest du jungen Gründerinnen geben, die sich in der Beautybranche selbstständig machen möchten?

Ich denke, dass das Alter keine Rolle spielt. Du springst immer ins kalte Wasser. Mein wichtigster Tipp ist sicherlich darauf zu achten, dass ein bestehendes Problem für die Kunden*innen gelöst wird. Nachhaltigkeit ist kein Trend, sondern die Zukunft. Und die Community immer in die Entwicklung einbeziehen, Feedback einfordern und nicht nur passiv absorbieren, so kann das Produkt immer besser werden.

Was hast du für gitti in der Zukunft geplant?

Im kommenden Jahr launchen wir eine weitere absolute Innovation in der Industrie und verstärken dadurch unsere Position als Pioneer. Zudem haben wir einen neuen, innovativen Nagellack Entferner entwickelt, der auf 100% natürlichen Inhaltsstoffen basiert und keinerlei üblen Geruch mehr aufweist. Diesen könnt Ihr ab Januar 2020 bei uns auf der Website vorbestellen.

Vielen lieben Dank für das persönliche Interview und weiterhin ganz viel Erfolg!

Einleitung von Sarah Luisa Kuhlewind 

Fotos via PR. 

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2 Antworten auf „„Was würdest du machen, wenn du keine Angst hättest? Das Erste, was mir in den Kopf geschossen kam, war: Glitzernagellack“– Im Interview mit Jennifer Baum von gitti“

Tolles Interview. Ich habe selbst vor noch nicht langer Zeit ein Unternehmen gegründet und weiß, durch welche Höhen und Tiefen (eher letztere im Moment, ha!) man da geht. Hab gleich mal zwei Lacke bestellt – solch tolle Gründerinnen muss man supporten!

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Journelles ist das grösste unabhängige Mode-Blogazine in Deutschland und wurde 2012 von Jessie Weiß gegründet. Die 37-jährige Unternehmerin legte 2007 den Grundstein für die Modeblogosphäre mit dem Netz-Urgestein LesMads und arbeitet seither als Journalistin, Moderatorin und Kreativdirektorin.