„Unsere Lieferkette basiert aktuell auf einem postkolonialen System. Das muss ein Ende haben“ – Designerin Adèle Logan Helmers über den Launch ihrer ersten Kollektion aus Piña-Fasern

Das Exklusiv-Gespräch mit der Designerin

byAdèle steht für die Verbindung von Moderne und Tradition. Gegründet wurde das Label von der Amerikanerin Adèle Logan Helmers. Eine Brücke zu schaffen zwischen Überfluss (Fast Fashion) und Mangel (soziales Engagement), das ist das Ziel der in Berlin ansässigen Jungdesignerin. Mit ihrer Kollektion, die in Zusammenarbeit mit Kunsthandwerkern auf den Philippinen, in Indien und Afghanistan entsteht, lässt sie alte Textiltechniken wieder aufleben. Wir haben exklusiv mit ihr über ihre eindrucksvolle Reise in die Welt der Mode gesprochen.

Adèle Logan Helmers

Aus Liebe zum Textil

„Mein Interesse für Textilien begann lange bevor ich mich damit an der Uni beschäftigte“, beginnt Adèle, die in einer Kleinstadt in den amerikanischen Südstaaten aufgewachsen ist. „In meiner Heimat drehte sich früher alles um die Produktion von Textilien. Es war ein Teil unserer Kultur. Heute spiegelt der Arbeitsmarkt das nicht mehr wider.“ Fasziniert von der Herkunft verschiedener Textilien und den menschlichen Geschichten, die darin verwoben sind, gründete die junge Amerikanerin ihr eigenes Label byAdèle.

„Es ist mein Versuch, das Wissen, die Tradition und das textile Handwerk am Leben zu erhalten. All das in Kombination mit meiner Passion für Geschichte, Architektur und Anthropolgie bilden die Basis für byAdèle.“ Wir möchten mehr erfahren und fragen sie nach ihren Anfängen. „Ich habe an der Rhode Island School of Design Textil- und Kulturwissenschaften studiert. Während dieser Zeit habe ich mich viel mit der Herstellung und Verarbeitung von Fasern und Stoffen beschäftigt“, sagt sie und erzählt, sogar selbst Garn gesponnen und anschließend verwoben zu haben.

„Eine Reise nach Marokko hat zudem dazu beigetragen, dass ich das textile Handwerk heute als eine Kunstform verstehe. Schade ist, dass diese langsam ausstirbt. Früher wurde sie von Generation zu Generation weitergegeben. Heute gibt es immer weniger Menschen, die diese Techniken beherrschen.“

Adèle war es deshalb wichtig, vor der Gründung ihrer Marke eine Art Manifest zu formulieren. „Ich notierte die Dinge, die für mich essentiell waren: sich der Vergangenheit bewusst zu sein, hilft uns, in die Zukunft zu gehen.“ Ihr Ziel ist es, die Kultur und Tradition der Handwerkskünstler zu zelebrieren und ihnen einen neuen Platz in unserer Gesellschaft zu geben. „Ich möchte eine Brücke zwischen den verschiedenen Welten schaffen. Letztlich sitzen wir alle im selben Boot. Wir existieren nicht in einer Blase. Jeder Aktion folgt eine Reaktion, wie Newton einst sagte.“

Faszination Philippinen

Die Materialien für ihre Kollektionen bezieht Adèle von den Philippinen. „Meine Leidenschaft für Textilien hat dazu geführt, dass ich dort gelandet bin. Die meisten der Stoffe, die wir aktuell in den Läden sehen, werden aus Rohöl (z.B. Polyester) und fossilen Brennstoffen hergestellt“, erklärt sie. In der Modebranche wird mit diesen Rohstoffen umgegangen, als seien sie unendlich. „Diese Art der Plastikkleidung schädigt unseren Planeten und unsere Ozeane werden durch Mikroplastik verschmutzt.“

Adèle sieht darin einen nie endenden negativen Kreislauf. „Natürlich gibt es interessante Alternativen wie Upcycling und Recycling.“ Ihrer Meinung nach sei das ein Schritt in die richtige Richtung. „Aber ich glaube trotzdem nicht, dass dies die beste Antwort für zukünftige Generationen ist. Viele dieser Prozesse benötigen neues Material, das auf denselben Rohstoffen basiert“, sagt sie.

„Abgesehen davon zog es mich auf die Philippinen, weil die Menschen dort für ihre Kleidung aus Naturfasern zurückgreifen. Ein Beispiel ist der „Barong Tagalog“, ein traditionelles Gewand, das in der spanischen Kolonialzeit auf den Philippinen getragen wurde. Darüber las ich zum ersten Mal während meines Studiums. Es ist transparent, weiß und oft mit Stickereien sowie Knöpfen versehen. Weil ich verstehen wollte, wie diese Art von Stoff hergestellt wird, bin ich auf die Philippinen gereist.“

„Ich habe meine Reise weit im Voraus geplant und mich vor Ort mit vielen verschiedenen Menschen getroffen. Ein Großteil der internationalen handwerklichen Industrie basiert auf Hörensagen und Kontakten.“ Gerade das findet Adèle spannend. „Die Begegnung mit den Menschen und das Erforschen der Kultur sind eine unglaubliche Lebenserfahrung.“

Piña neu entdeckt

Ihre Reise führte sie nach Aklan. Die Gegend ist bekannt für Piña. „Dabei handelt es sich um Ananasfasern, die von Hand geschabt und zu Fäden verknotet und anschließend gewebt werden“, sagt Adèle. Die Gemeinschaft, mit der sie zusammenarbeitete, wird fast ausschließlich von Frauen geleitet und betrieben. „Viele von ihnen sind Heimarbeiterinnen, die sich parallel dazu um die Familie kümmern. Dreimal pro Woche geht die Leiterin der Gruppe auf zwei bis drei verschiedene Märkte, um sich dort mit den Knüpferinnen und Weberinnen auszutauschen. So erhalten sie auch ihre Bezahlung“, erzählt Adèle im Gespräch.

„Das Aufregendste daran ist, dass es keine Zwischenhändler und somit keine zusätzlichen Gebühren gibt“, findet Adèle. Das bedeutet, dass die gesamten Einnahmen direkt an die Frauen gehen. „Der Prozess, um Piña herzustellen, ist äußerst aufwendig“, erklärt sie weiter. „Zuerst müssen die Ananasblätter geerntet werden. Dann werden diese mit einer zerbrochenen Keramikschale gegen Holz geschabt.“ Auf diese Weise löst sich die Zellulose (der grüne Teil des Blattes). Was bleibt, sind die dünnen, aber robusten Fasern. Diese werden einzeln von Hand verknotet, um daraus Fäden und schließlich den Stoff herzustellen. Die Philippinen sind der einzige Ort auf der Welt, wo Piña produziert wird.

Für ihr Label arbeitet die Amerikanerin mit verschiedenen Gemeinschaften zusammen. Viele waren von den Einschränkungen durch die Corona-Krise betroffen. Sie konnten ihrer Arbeit nicht wie gewohnt nachgehen. „Auch beim Versand der Ware kam es zu Schwierigkeiten“, erzählt die Designerin, die ihre Reise und die Erlebnisse als äußerst bereichernd beschreibt. „Ich habe die Menschen Zuhause besucht, mit ihnen Tee getrunken und wir haben gemeinsam gegessen. Sie haben mir ihre Kinder und Großeltern vorgestellt, was das Ganze unglaublich persönlich machte. Es ging nicht nur ums Business.“

Wir wollen wissen, was an Piña im Vergleich zu anderen Naturfasern so nachhaltig ist. „Bei der Produktion sind keine Tiere involviert. Es handelt sich um ein rein pflanzliches Textil.“ Neben der Ananasfaser verwendet Adèle für ihre Kollektionen Seide. Das Herstellungsverfahren ist seit Jahrzehnten umstritten. Wie steht sie dazu?

„Seide entsteht, wenn ein Seidenwurm eine Substanz auf Proteinbasis in Form einer feinen Schnur absondert, um einen Kokon zu formen. Um die Fäden anschließend zu extrahieren, muss der Kokon gekocht werden. Während dieses Prozesses stirbt die Seidenraupe.“ Kurzum: es entsteht niemals ein Schmetterling. „Die Alternative ist „Peace Silk“. Dabei frisst sich die Raupe aus dem Kokon heraus, bevor dieser für die Textilproduktion verarbeitet wird. Der Nachteil ist, dass die Fasern sehr viel kürzer und damit schwer zu verarbeiten sind. Der Prozess dauert weitaus länger und das Material wird nicht so glatt, wie wir es von „normaler“ Seide gewohnt sind“, erklärt die Designerin. „Für unsere Kollektion verwenden wir ausschließlich „Peace Silk“, Pflanzenfasern oder Restbestände der Modeindustrie. Es gibt keinen Grund, warum man bereits bestehende Materialien nicht verwenden sollte“, findet Adèle.

Natürlich färben

Eine weitere Besonderheit ihrer Kreationen ist die Tatsache, dass rein natürliche Färbemittel verwendet werden. „Kleidung ist etwas so körpernahes, dass es für mich einfach Sinn macht, nur natürliche Materialien zu verwenden.“ byAdèle basiert zudem auf den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklungen. „Ich möchte mit meiner Marke dazu beitragen, dass diese erreicht werden“, sagt die Designerin selbst. Ihrer Meinung nach müssen wir uns für die Zukunft noch viel stärker mit dem Thema Wasser- und Umweltverschmutzung auseinandersetzen. „Das Färben von Textilien ist ein wesentlicher Faktor. Das Abwasser wird in den meisten Fällen nicht gereinigt und die chemischen Giftstoffe gelangen zurück in die Natur“, sagt sie.

Sie habe deshalb beschlossen, nur mit natürlichen Farbstoffen zu arbeiten, die entweder in den Gebieten geerntet werden, in denen die Stoffe gefärbt oder gewebt werden. „Einige der Piña-Stoffe werden mit Kokosnussschalen und Blättern bearbeitet, die eine rosa bzw. gelbe Farbe erzeugen. Hier in Berlin nutze ich Lebensmittelabfälle zum Färben.“ Adèle plant dazu bald ein IGTV-Video auf ihrem Social Media Channel veröffentlichen. „Mein bester Tipp ist, einen sehr, sehr großen Topf zu verwenden. Außerdem sollte man sich bewusst sein, dass es kaum möglich ist, zweimal denselben Farbton zu erhalten. Und nass wird man auch.“

Einige der Piña-Stoffe werden mit Kokosnussschalen und Blätter bearbeitet, die eine rosa bzw. gelbe Farbe erzeugen. Hier in Berlin nutze ich Lebensmittelabfälle zum Färben.

Nachhaltige Materialien, ethische Produktion, natürliche Färbemittel – Adèle ist sich ihrer Sache sicher und hat jeden einzelnen Aspekt ihrer Marke wohl durchdacht. Und damit nicht genug: Auf Wunsch lässt sich jedes Teil ihrer Linie auch nach Maß anfertigen. „Der Grund ist simpel: Ich möchte mehr Körpertypen mit einbeziehen. Man soll sich in seiner Kleidung wohlfühlen.“

byAdèle arbeitet mit einem Mutter-Tochter-Duo in Polen zusammen, die jeden Look individuell anfertigen. „Wir haben uns über die Familie meines Freundes kennengelernt“, berichtet die Designerin, deren größte Inspiration ihre Großmutter, Grandmadèle sowie ihre zwei jüngeren Schwestern sind. „Sie gehen ihren eigenen Weg, der rein gar nichts mit Mode zu tun hat“, sagt sie.

Die Welt als Traum

Adèle arbeitet mit Menschen ich auf den Philippinen, in Indien und mit einer Gruppe in Afghanistan, die seit Generationen eine bestimmte Art von Textilien herstellen. „Es geht um die Zusammenarbeit und eine faire Entlohnung, die der Kultur zugute kommt. Dafür setze ich mich ein“, erklärt die Designerin, die sich bei ihren Reisen um die Welt vor allem von seltenen Textiltechniken angezogen fühlt.

„Außerdem denke ich, dass die Corona-Krise zu einem Perspektivwechsel beigetragen hat. Wir haben uns an unsere Menschlichkeit erinnert und ich hoffe, dass dies auch Auswirkungen auf andere Bereiche, beispielsweise in der Wirtschaft, haben wird. Unsere Lieferkette basiert aktuell auf einem postkolonialen System. Das muss ein Ende haben!“, betont die Designerin.

„Ich bin eine echte Träumerin, was die Zukunft für mein Label angeht. Momentan konzentriere ich mich darauf, mehr nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen. Aufgrund der Beschränkungen sieht es gerade eher schlecht aus. Die Beschäftigungsmöglichkeiten sind durch die Abriegelungen auf den Philippinen, in Indien und Afghanistan knapper denn je.“

In Zukunft würde sie gerne mit noch mehr Handwerkskünstlerinnen kooperieren. „Wie schon gesagt, ich träume gerne. Und wer weiß, wohin mich mein nächster Traum führen wird.“

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Interview, Übersetzung und Umsetzung von Katharina Hogenkamp.

Bilder von Muriel Liebmann via Adèle Logan Helmers. Styling von Josepha Rodríguez. Models Celine Tyson und Atusa Jafarivia.

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Journelles ist das grösste unabhängige Mode-Blogazine in Deutschland und wurde 2012 von Jessie Weiß gegründet. Die 37-jährige Unternehmerin legte 2007 den Grundstein für die Modeblogosphäre mit dem Netz-Urgestein LesMads und arbeitet seither als Journalistin, Moderatorin und Kreativdirektorin.