Die größten Modemessen Premium und Neonyt verlassen Berlin und ziehen um nach Frankfurt am Main. Dort soll die Fashion Week neuen Fahrtwind bekommen. Wir sprachen mit der Geschäftsführerin der PREMIUM GROUP, Anita Tillmann, über Neues und Unerwartetes, Digitalinnovation und Nachhaltigkeit.
Seit Sommer 2007 findet in der deutschen Hauptstadt zweimal im Jahr die Modewoche statt. Hätte es die Corona-Krise nicht gegeben, wäre es im kommenden Juli wieder soweit gewesen. Die Fashion-Szene hätte sich auf den Weg nach Berlin gemacht, um sich bei den Schauen, Präsentationen und Messen die neuen Kollektion für die Frühling/Sommer 2021 Saison anzuschauen.
Anfang letzter Woche wurde jedoch bekannt, die deutschen Modemessen PREMIUM, SEEK und NEONYT, die bisher im Rahmen der Berlin Fashion Week stattfanden, ziehen ab 2021 um in die Börsenstadt Frankfurt am Main. Die Überraschung ist groß, und wir fragen uns: Wussten die Aussteller im Vorfeld über den Umzug Bescheid? Warum gerade Frankfurt am Main? Und, bedeutet die Entscheidung das Ende für Berlin als Fashion-Hotspot? Fest steht: Die Mercedes-Benz Fashion Week Berlin wird weiterhin in der Hauptstadt stattfinden, weshalb die Headlines, dass die „Fashion Week umzieht“ nur bedingt stimmen.
Frau Tillmann, Sie versuchen seit 18 Jahren, Berlin als eine erfolgreiche Modestadt zu etablieren. Ist das Projekt also gescheitert? Wenn ja, warum glauben Sie, hat es nicht so recht geklappt?
Wir hatten 18 Jahre in Berlin eine aufregende und gute Zeit und ich bin dankbar, dass wir uns als Unternehmen ausprobieren, wachsen und erfolgreich etablieren konnten. Man kann schon sagen, dass man Berlin als eine erfolgreiche Modestadt betrachten kann. Alleine die Zahlen, die die Stadt durch unsere Messen, Konferenzen, Partys und Events umgesetzt hat, können sich sehen lassen und die Dichte von Kreativen ist hoch. Wir gehen nicht aus Berlin weg, weil wir hier gescheitert sind. Ganz im Gegenteil. Unsere Messen sind sehr erfolgreich und wir gehen aus einer Position der Stärke.
Zeiten und Bedürfnisse ändern sich nun mal und wir brauchen ein neues Narrativ – wirtschaftsstark, zukunftsfähig und sexy. Wir müssen unsere Konzepte weiter entwickeln, neu denken, um langfristig und international wettbewerbsfähig zu bleiben und haben auch eine Verantwortung der Branche gegenüber. Frankfurt ist der perfekte Ort, um unsere Visionen und Ideen umzusetzen und um ein neues Narrativ zu erzählen.
Banken, Börse, Hochhäuser, dafür ist Frankfurt am Main bekannt. Warum zieht die Fashion Week von Berlin gerade dorthin und nicht etwa nach München, wo dort doch viele Magazine (u.a. Vogue, Elle) ansässig sind?
Wir haben uns mit allen Großstädten Deutschlands auseinandergesetzt. Wir haben uns gefragt, wo wir dieses Narrativ erzählen können? Wer hat den Platz, damit wir dem Wunsch der Branche, alles an einem Ort zu bündeln, nachkommen können? Welche Stadt ist unverbraucht? Welche Stadt finden wir persönlich cool und welche Stadt kann unsere Besucher noch überraschen und beeindrucken? Frankfurt bietet all dies. Frankfurt ist ein weltbekanntes internationales Dreh- und Handelskreuz, das Messegelände ist Teil der Innenstadt und gehört zu Frankfurts Kultur. Der Flughafen ist 15min vom Messgelände entfernt und der Hauptbahnhof nur eine Station davon. Es gibt ein definiertes Zentrum und alles ist fußläufig oder zumindest mit kurzen Wegen verbunden, perfekt um die Stadt zu eventisieren und mit einzubinden.
Die globale Textil- und Modeindustrie, ihre Wertschöpfungsketten und Distributionskanäle durchleben aktuell einen massiven Veränderungsprozess und wir befinden uns im Epizentrum dieser Transformation hin zu mehr digitaler Vernetzung, innovativer Produktion sowie Transparenz und Nachhaltigkeit. Die Premium Group als größte Modemesse Europas und die Messe Frankfurt als Global Player mit ca. 60 Textilmessen weltweit stehen vor der gleichen Herausforderung. Heute mehr denn je muss die Branche noch enger zusammenarbeiten. Das Messegelände ist eines der größten weltweit – somit kann auf einem Gelände alles abgebildet werden: Fashion, Sustainability, New Technologies – mit einem Ticket, an einem Standort, das ist einmalig.
War der Umzug schon lange geplant?
Über die Idee eines strategischen Schulterschlusses unserer Messen sprechen wir schon eine ganze Weile. Die Idee, unsere Messen, Partys, Events und Konferenzformate im Juli 2021 nach Frankfurt zu verlegen, wurde Ende letzten Jahres konkret. Wir mussten schnell sein. Detlef Braun und ich kennen uns schon seit den Neunzigern aus unserer gemeinsamen Zeit bei JOOP! und sind immer im Kontakt geblieben. Seit vielen Jahren arbeiten wir mit Olaf Schmidt und seinem Team in Berlin inhaltlich und konzeptionell partnerschaftlich zusammen. Wir hatten immer vor, gemeinsam etwas Großes auf die Beine zu stellen, nachdem wir bereits erfolgreich gemeinsame Projekte wie unsere Konferenzformate FASHIONTECH und FashionSustain produziert und zusammen zum Industry Insight Event eingeladen haben. Wir sind jetzt soweit.
Was waren die ausschlaggebenden Faktoren für den Umzug von Berlin nach Frankfurt a.M.?
Das Überraschungsmoment war groß und auch gewollt. Wir haben einige unserer Key Accounts kurz vorher an Board geholt und haben sehr positive Resonanz bekommen – viel besser als wir gedacht haben. Alle freuen sich auf etwas Neues und wissen: Die Modebranche lebt vom Neuen.
Die Nachricht, dass die Modemesse umzieht, kam für viele sehr überraschend. Wussten die Aussteller im Vorfeld Bescheid und wie haben sie reagiert?
Alles ist überall im Umbruch. Wir werden das Format Fashion Week in Deutschland neu aufstellen, sie dem Zeitgeist entsprechend positionieren. Es geht uns darum, das Ökosystem der internationalen Mode neu und ganzheitlich abzubilden. Auf unseren Messen präsentieren wir zum Beispiel Damen- und Herrenkollektionen zusammen zu einem Zeitpunkt. Das werden wir auf die Show-Formate übertragen und sind damit die ersten weltweit, das ist ein Vorteil.
Des Weiteren liegt der Fokus auf Themen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Wir sind am Puls der Zeit und haben gemeinsam die Expertise, das Netzwerk, die Power und auch die Leidenschaft, unsere Vision umzusetzen. Unser Ziel ist es, dass in Frankfurt die Zukunftsvision einer Fashion Week Realität wird. Das ist ein hoher Anspruch, dessen sind wir uns bewusst. Wir kreieren ein völlig neues Ecosystem bestehend aus Tradeshows, Konferenzen, Runways und Events, das die gesamte Stadt mit einbinden. Die progressive Inszenierung von Mode beinhaltet für uns ganz klar auch die Eventisierung der Stadt. Hinzu kommen unsere Content-USPs Applied Sustainability und Applied Digitization. Die Verbindung dieser Formate und Inhalte wird zu einem echten Katalysator.
Berlin stand als Modestadt schon häufiger in der Kritik. Die Fashion Week in der deutschen Metropole ließe sich nicht mit denen in Städten wie Paris oder Mailand vergleichen. Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Umzug nach Frankfurt a.M.?
Jede Stadt hat ihre Stärken und Vorzüge, darum geht es nicht. Wir stellen uns ganz neu und international auf, mit Zukunftsperspektive und wir denken groß. Die Frankfurt Fashion Week richtet sich ganz bewusst an eine zukunftsorientierte, digital-affine Fashion- und Lifestyle-Community. B2B, B2C, B2P, P2P – alle Wege sind offen. Wenn Fashion, Lifestyle, Digitalinnovationen und Nachhaltigkeit eine Synthese eingehen, dann entsteht etwas Neues, Unerwartetes. Genau das ist unser Anspruch. Unveiling the Unexpected. Frankfurt ist dafür ein neuer, unverbrauchter Standort. Wir freuen uns drauf!
Berlin vs. Frankfurt a.M.: Welche Neuerungen und Innovationen können wir uns von der Fashion Week Frankfurt erhoffen?
Der Umzug nach Frankfurt findet erst im Sommer 2021 statt. Vom 19. – 21. Januar 2021 werden die PREMIUM, SEEK und die FASHIONTECH noch hier in Berlin stattfinden. Wir gehen nicht, ohne uns zu verabschieden. Es werden Alle eingeladen, die mit uns in Berlin großgeworden sind und dabei waren, wir feiern ein großes Danke Berlin und Welcome Frankfurt und werden die neuen Konzepte, Netzwerke und Player präsentieren.
Text und Umsetzung von Katharina Hogenkamp.
Bild von Anita Tillmann via Premium Group.
10 Antworten auf „„Wir gehen nicht aus Berlin weg, weil wir hier gescheitert sind“ – PREMIUM GROUP Geschäftsführerin Anita Tillmann verrät, was hinter dem Umzug der Fashion Week steckt“
An der Verwunderung über die Entscheidung merkt man mal wieder, wie sehr Berlin um sich selbst kreist. Frankfurt ist schon lange nicht mehr nur „Banken, Börse, Hochhäuser“, sondern eine der spannendsten Städte Deutschlands mit einem unglaublich lebendigen Kultur- und Nachtleben, großartigen Museen und Galerien, tollen Läden, schönen Cafés, sehr guten Restaurants etc. Nicht umsonst hat die NY Times schon 2014 Frankfurt als einzige deutsche Stadt als eines von 52 lohnenden Reisezielen weltweit empfohlen.
Liebe Annika,
vielen Dank für deinen Kommentar. Ich denke, unser Team war eher verwundert darüber, dass das Ganze so plötzlich verkündet wurde.Frankfurt ist eine ganz wundervolle Stadt (ich habe selbst Familie dort), die wir auch unbedingt in unseren neuen City-Guides näher vorstellen möchten. Wenn du selber tolle Tipps hast, gerne her damit 🙂 Wir freuen uns immer, auch außerhalb von Berlin neue Cafés, Läden, Sehenswürdigkeiten und Co. kennenzulernen.
Liebst,
Katharina
Wenn Frau Tillmann das Interview so tatsächlich gegeben hat, dann verwundert mich das echt, denn das hört sich nach einer Aneinanderreihung auswendig gelernter Buzzwords der New Economy an und ich kann keine Quintessenz erkennen, außer das sich Leute von irgendwann im Leben kennen und was ganz Großartiges auf die Beine stellen werden, was all diese Buzzwords in sich vereint. Vielleicht hab ich auch einfach nur keine Ahnung von der Thematik, aber ich weiß nach Lektüre des Artikels noch immer nicht, wer, was konkret vorhat und warum?!
Einzige Vorteile die FFM m.M.n ggü. Berlin vmtl. hat: Flughafen ist internationaler angebunden, Zentrum überschaubarer (weshalb sie von Eventisierung der Stadt philosophiert) und generell ist einfach mehr Wirtschaftskraft in der Stadt, wobei das für eine internationale Modewoche nicht ausschlaggebend sein sollte, oder doch? Hat „arm, aber sexy“ ausgedient?
Mal schauen, wie das weitergeht!
💯 genau mein Gedankengang.
Word. Exakt das wollte ich auch kommentieren. Ein großartiger Text für linguistische Analysen einer nichtssagenden, ausweichenden Corporate Sprechweise. Schade, dass ihr da nicht nachgehakt habt.
Wirklich die schlimmsten Bullshit-Bingo-Corporate-Marketing-Sprech-Antworten, die ich seit langem gelesen habe. Dabei ist Euch, liebes Journelles-Team, kein Vorwurf zu machen, auch wenn die Fragen etwas knackiger hätten ausfallen können. Peinlich finde ich diese 0815-Aussagen von Frau Tillmann gegenüber dem größten deutschen Modeblog. Hat Ihr*e Assistent*in die aus einem PR-Booklet rauskopiert, an einigen Stellen noch mal copy-paste-gedrückt und ihr vorgelegt? Die Antworten zeugen auch von mangelndem Interesse an der deutschen (Berliner?) Modebloggerwelt. Ich bin gespannt, wie die neue Fashion Week mit so einer Herangehensweise ein zeitgemäßes bzw. „zukunftsorientiertes“ „Ecosystem“ für eine „digital affine Community“ herstellen will.
Ich habe witzigerweise im Radio ein kurzes Interview mit Frau Tillmann zum Umzug nach Frankfurt gehört und da hat sie exakt die gleichen Worthülsen von sich gegeben. Auch in dem Interview kam das Wort Narrativ mindestens viermal vor 😀 Das ist völlig uninspiriertes PR-Gelaber vom Reißbrett mit Nullaussage.
„Ein Narrativ erzählen“ und das gleich mehrmals.
Ich fasse es nicht.
NARRATIV DAS MODEWORT DES JAHRES, Klar!!! 😀
„B2B, B2C, B2P, P2P“
… Äh, was?