
Als meine Großmutter vor circa 50 Jahren in London in ein Warenhaus Burberry-Geschäft spazierte und sich einen Trenchcoat kaufte, da war das ein großes Ding: extra in eine anderes Land gereist, viele Monate, wenn nicht sogar Jahre darauf gespart, und dann endlich am Ziel ihrer Träume: der Schauspiel-Elite à la Humphrey Bogart, Audrey Hepburn und Grace Kelly kam sie mit jedem Schritt, den sie auf das Geschäft zuging, näher.
Dass der Trenchcoat eine Investition in ihre Zukunft sein würde, das war meiner Großmutter schon damals klar. Sie wirkte in dem beigen Mantel aus Garbadine-Stoff seriös, elegant und erwachsen – bei Geschäftsessen, die sie mit meinem Opa hatte, wurde sie dadurch gefühlsmäßig zu einer ebenbürtigen Partnerin – obwohl sie das auch so war, ohne den Mantel. Dass dieses eine Kleidungsstück aber auch 50 Jahre später noch eine so große Rolle spielen würde, nachdem der Mantel von Generation zu Generation weitergegeben wurde, das Unternehmen nichts mehr mit dem der 70er-Jahre zu tun hat und auch die Zielgruppe eine komplett andere ist, das ahnte sie damals noch nicht.
Mittlerweile bin ich stolze Besitzerin und das Geld meiner Großmutter hat sich (mindestens) doppelt ausgezahlt – der Mantel fristet kein trauriges Dasein in einem Secondhand-Shop oder endet verstaubt in einem Kleiderschrank, sondern wird getragen, getragen und getragen. Und das mit Stolz.
Wem wir das zu verdanken haben? Einem Mann. Namens Christopher Bailey.

Bailey fängt 2001 als Design Direktor unter Rose Marie Bravo in dem britischen Traditionshaus an. Davor hat er am Royal College of Art studiert und nach seinem Abschluss bei Donna Karan und Gucci erste Erfahrungen als Womenswear Designer gesammelt.
Als Design Direktor bei Burberry ist er für die Corporate Identity und das Kreativ-Marketing der Marke zuständig, „daneben“ natürlich noch für alle Kollektionen, die in den Läden hängen und auf den Laufstegen präsentiert werden. Dieses Aufgabengebiet wurde durch seine Beförderung 2009 noch vergrößert, als er zum Chief Creative Officer benannt wird, im Mai 2014 sogar zum CEO des Brands ernannt wird.
Seitdem Bailey bei Burberry einstieg, verändert sich das Image der Marke rasant schnell. In den 90er-Jahren noch das Erkennungszeichen von Poppern, Snobs und Spießern, wird die britische Traditionsmarke, die mit dem Karo-Muster, Trenchcoats und britischem Countryside-Chic groß geworden war, in den frühen 2000er-Jahren eines der großen It-Labels – und verschwindet seitdem nie mehr richtig von unserem Radar.
Das liegt am digitalen Pioneer Bailey. Der hat sich die Digitalisierung der Marke auf die ganz große Kappe geschrieben und erfüllt mit einer cleveren Strategie sein Ziel schnell: Burberry als DAS britische Luxuslabel etablieren. Seine Designs sind dabei zeitgeistig – genau die richtige Mischung aus Burberry-Klassikern wie Mänteln, Karos und Camel, aber eben immer gemischt mit hochmodischen Aspekten der Saison.
Auch die Werbekampagnen spielten im Imagewandel des Labels eine große Rolle: Bailey verpflichtet Stars wie Lily Donaldson, Rosie Huntington-Whiteley, Cara Delevingne, Emma Watson, Eddie Redmayne, Sienna Miller und Kate Moss für die Marke – entdeckt Models wie Suki Waterhouse, Romeo Beckham, fotografiert von Mario Testino, der die Stars für Werbeanzeigen perfekt in Szene setzt und zu ikonischen Kampagnen macht, die sich für immer in die Netzhaut einbrennen.
Ein weiterer Schritt Richtung Moderne: digitale Kampagnen. 2009 strahlt Burberry als eines der ersten Labels überhaupt seine Show als Livestream aus, Bailey schafft zusammen mit Ikonen wie Streetstyle-Fotograf Scott Schuman die Kampagne „Art of the Trench“ , holt sich hippe Designer wie Gosha Rubchinskiy ins Boot und ist das erste Label, was 2016 seine Kollektion einen Tag vor der offiziellen Catwalk-Show auf Snapchat präsentiert. Auch eine Erfindung Baileys: „See now buy now“ . Damit revolutioniert er den statischen Modekalender und verkürzt die Wartezeit der Kunden von vielen Monaten auf wenige Wochen – die meisten Items können ab der Frühjahr/Sommer-Kollektion 2016 sofort nach der Runway-Show gekauft werden. Die Möglichkeiten für Zara, H&M und Co. die Entwürfe der großen Designer zu kopieren, sinken enorm. Zu wenig Zeit, zu wenig Vorlauf, um Entwürfe abzukupfern und in großen Mengen nachzuproduzieren – Bailey schlägt den Highstreet-Riesen einen Haken und bringt so das Konzept der Modebranche, das seit Jahren nach dem gleichen Prinzip funktioniert, zum Beben.
Technischer Fortschritt als Zeichen der Modernisierung in der Mode. Bailey läutet das digitale Zeitalter die Industrie ein – und macht aus einem kleinen britischen Unternehmen ein globales Fashion Brand. Er designt alle Flagshipstores neu, bringt Live Acts auf den Catwalk zurück – zwischenzeitlich nennen Brancheninsider die London Fashion Week schon Burberry Fashion Week, denn Bailey zieht als Zugpferd und Aushängeschild der britischen Modebranche nicht nur sein Unternehmen in die international wichtige Riege der Designhäuser, sondern verhilft ganz Großbritannien zu einem neuen modischen Aufschwung.

Er vereinfacht Brand Marketing und macht die Marke damit nicht nur modern, sondern auch kundenfreundlich übersichtlich. Aus gefühlt tausend Untermarken wird 2016 eine einzige, die in einer (!) Runway-Show für Männer und Frauen präsentiert wird.
Mit den letzten zwei Kollektionen geht er noch einen Schritt weiter. Er verpasst Burberry einen ganz neuen, jugendlichen Ruf, spricht mit radikalen Designs eine ganz neue Zielgruppe an, lässt den britisch-spießigen Stil hinter sich und entwirft stattdessen Kleidungsstücke, um die sich die hippen Teens, Schauspieler, Models und Musiker reißen. Er verlässt dem Pfad der Tradition und schlägt den des Zeitgeists ein – die einen mögen es, die anderen verlieren an dieser Stelle komplett ihren Draht zum Label. Ob Burberry dadurch zum neuen Vetements wird? Haben wir hier schon einmal diskutiert.
Jetzt nach 17 Jahren ist jedenfalls Schluss mit der bailyschen Ära. Der Modedesigner verlässt seinen Posten und widmet sich ab März 2018 anderen kreativen Projekten, ist aber noch bis Ende 2018 mit Burberry im Gespräch, um einen reibungslosen Personalwechsel zu garantieren.
Damit ist Bailey der siebte Designer, der „großen“ Labels, die seit 2015 munter beim Designerkarussell mitmachen. Hedi Slimane verließ Saint Laurent, Alber Elbaz Lanvin, Riccardo Tisci Givenchy, Raf Simons Dior, Maria Grazia Chiuri Valentino und Clare Waight Keller Chloé. Größtenteils wechselten dabei die Namen einfach nur die Unternehmen, nur wenig „neue“ Namen kamen dazu. Auch die Neu-Besetzung für Baileys Stelle soll keine Unbekannte sein. Man munkelt, dass Phoebe Philo nach ihrem potenziellen Ausstieg bei Céline die ideale Nachfolgerin sein könnte.
Genaueres ist allerdings nicht bekannt und bevor wir uns auf die Zukunft des Unternehmens konzentrieren, huldigen wir noch einmal Christopher Bailey, der wohl der neue Master des „Doing the Gucci“ Effekts ist, wie man in der Branche so schön sagt.
Dank ihm trage ich den Trenchcoat heute noch mit so einer Ehrfurcht, wie meine Oma ihn vor 50 Jahren trug. Und ich hoffe, dass meine Enkelkinder mir es in 50 Jahren nachmachen werden. Goodbye Mister Bailey aka Mister Burberry, es war uns eine Ehre!

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