Die Fashion Changers über Nachhaltigkeit und Politaktivismus: „Wenn wir Mode richtig und verantwortungsvoll nutzen, steht uns ein unglaubliches Tool für Veränderung zur Verfügung“

Unser exklusives Gespräch mit den Autorinnen

Nina Lorenzen, Jana Braumüller und Vreni Jäckle ermöglichen mit ihrem inspirierenden Guide einen Blick hinter die Kulissen der Fashion-Branche. In Fashion Changers – Wie wir mit Mode die Welt verändern können lassen sie Modeaktivist*innen zu Wort kommen und stellen zwanzig spannende Menschen und Labels vor, die sich für eine bessere Modeindustrie einsetzen. Wir haben mit ihnen über Mode als Vehikel, Greenwashing und wie man selbst aktiv werden kann, gesprochen.

Die Mode war lange nicht so politisch und aktivistisch wie heute. Nachhaltigkeit und Fair Fashion werden für Designer und Marken immer wichtiger. Da Jana bei unserem Termin leider verhindert war, fragen wir die Fashion Changers: Wann habt ihr euch das erste Mal ernsthaft mit der Problematik beschäftigt? „Leder war das Thema, was mich aufgerüttelt hat“, erzählt Vreni. „Nachdem ich 2013 eine Dokumentation über die Produktion des Materials im ZDF gesehen hatte, habe ich entschieden, kein neues Leder mehr zu kaufen. Damals war ich bereits Vegetarierin und ich habe vielen meiner Freundinnen von der Dokumentation erzählt.“ Vreni war berührt und auch schockiert, was man von ihren Mitmenschen nicht unbedingt behaupten konnte. Die Missstände waren einfach zu weit weg, zu unnahbar. 

Nina erzählt: „Ich habe mich 2012 erstmals intensiv mit Nachhaltigkeit in der Mode befasst. Zu dem Zeitpunkt war das Thema von Journalist*innen und Blogger*innen noch nahezu unangetastet.“ Sie hat sich früh auf ihrem damaligen Blog damit auseinandergesetzt und so eine Nische gefunden. Zudem habe sie gemerkt, wie wichtig der Austausch mit der Community war. „Damals kamen einige wenige Journalist*innen auf mich zu und wollten darüber schreiben, aber außerhalb dieser Blase war Nachhaltigkeit noch völlig irrelevant. Sowohl Freundinnen als auch Kolleginnen haben sich nicht dafür interessiert. Mittlerweile ist das Angebot breit gefächert und es gibt für jede Frage und jeden Stil eine Antwort und einen Tipp“, sagt sie. „Inzwischen haben sich viele Modelabels erneuert und dem neuen System angepasst“, fügt Vreni hinzu.

In diesem Zusammenhang beschäftigen sich viele Modemarken – die einen mehr, die anderen weniger – seit einigen Jahren vermehrt mit dem Thema Transparenz. Wir fragen: Worum geht es dabei genau?

Stichwort: Code of Conduct

„Für uns bedeutet Transparenz die Rückverfolgbarkeit von Lieferketten. Unternehmen sollten ihren Kunden ehrlich kommunizieren, an welchem Punkt sie stehen und was die Ziele sind. Auch darauf wollen wir mit unserer Arbeit bzw. unserem Buch aufmerksam machen.“

Außerdem sei es laut Vreni wichtig, dass Firmen ihre Pläne überhaupt einhalten. Stichwort: Code of Conduct. „Es soll nicht nur auf dem Papier gut klingen, sondern auch realistisch umsetzbar sein“, findet sie. Apropos Verhaltenskodex: Was glaubt ihr, wieviele Modeunternehmen sind wohl schon einmal tatsächlich an ihre Produktionsstätten gereist, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen?

Nina erinnert sich an ein Gespräch mit Jeanne de Kroon, Gründerin von Zazi Vintage, im Rahmen der Buchrecherche: „Jeanne sagt, dass keine Firma das Recht haben sollte, an einem Ort zu produzieren, an dem es noch nie war. Aber dieser Gedanke ist in unserer heutigen Weltwirtschaft völlig verloren gegangen.“ Das läge auch daran, wie komplex die Lieferkette bei den meisten Unternehmen ist. „Es gibt Kleidungsstücke, die 40.000 Kilometer um den Erdball reisen, bevor sie bei den Läden im Regal und schließlich in der Garderobe des Konsumenten landen“, sagt Nina.

Jeanne de Kroon, Gründerin Zazi Vintage

Die Frage ist: Muss es so kompliziert sein? Kann man den Prozess einfacher gestalten? Und hat ein Unternehmen genug Wo-manpower, um sich die Zustände vor Ort anschauen zu können? Dabei werden auch Produktionsstandorte wie Osteuropa, Italien und Spanien in Frage gestellt. „Dass es sich bei einem Produkt mit dem Label „Made in Italy“ ausschließlich um hochwertige Markenware handelt, ist ein Trugschluss“, erklärt Nina. „Und nur weil etwas in Bangladesh produziert wurde, bedeutet das nicht immer, dass automatisch Menschenrechte verletzt wurden.“ Es gibt durchaus zertifizierte Fabriken, die gute Standards erfüllen und das textile Wissen ihrer Mitarbeiter sowie die Weiterentwicklung traditioneller Techniken fördern, findet sie.

„Ein weniger vorbildliches Beispiel ist die Stadt Prato in Italien. Dort leben und arbeiten viele chinesische Gastarbeiter, die aus ihrem Heimatland abgewandert sind. Mittlerweile herrschen dort Mafia-ähnliche Strukturen, vor allem im Bereich der Taschen- und Schuhproduktion. Dann ist ein Produkt zwar „Made in Italy“, aber unter sklavenähnliche Zuständen. Nur, weil etwas in Europa hergestellt wurde, heißt das nicht, dass es auch gut ist. Eine differenzierte Herangehensweise ist notwendig“, sagt Nina. Außerdem muss man wissen, die Bezeichnung “Made in” ist immer nur ein Indikator für den allerletzten Arbeitsschritt.

„Es gibt ja auch Marken, die extrem günstige Produkte und sogar Ultra-Fast-Fashion mit “Made in Italy“ deklarieren. Auch in der Türkei gab es vor kurzem einen Skandal um Geflüchtete und Minderjährige, die in Textilfabriken arbeiten. Es ist manchmal nicht so weit weg, wie man denkt“, ergänzt Vreni im Gespräch. Nina findet es zudem wichtig zu erwähnen, dass man vom Konsument keine hundertprozentige Expertise in Nachhaltigkeit erwarten kann. „Wir als Journalistinnen und Autorinnen sind in der Pflicht, andere Menschen für das Thema zu sensibilisieren und ihnen Tipps zu geben, wie man beispielsweise Greenwashing umgeht“, sagt sie.

Nina Lorenzen, Vreni Jaeckle, Jana Braumüller

Konsumenten in der Verantwortung

Was muss nach Meinung der Fashion Changers passieren, damit die Menschen aktiver werden und sich die Modewelt im Zuge dessen nachhaltig verändert? Nina antwortet: „Wir stellen uns natürlich die Frage: Wann kommt die Wende? Wann wachen wir endlich auf? Im Zuge der „Fridays for Future“-Bewegung haben wir im letzten Jahr gemerkt, dass Nachhaltigkeit an Relevanz gewinnt. Mehr Menschen reden darüber und man versteht langsam den Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und der Mode.“ Und: „Jetzt müssen wir darauf achten, dass diese Themen auch in Zeiten von Corona noch Platz finden und man Nachhaltigkeit in den Konjunkturprogrammen für Unternehmen mitdenkt.“

Ninas Meinung nach leiden wir unter einer Art Vorstellungskrise. „Bis wir den Klimawandel nicht deutlich vor unseren Augen sehen und selbst spüren, ist die Situation für viele Menschen im Globalen Norden schwer zu fassen“, sagt sie. „Solange jeder seinen Alltag noch bequem und angenehm bestreiten kann, ist es für viele schwierig, sich die Konsequenzen und das Ausmaß der Probleme vorzustellen. Deshalb sind radikale Lösungen gefragt. Uns läuft die Zeit buchstäblich davon. Was wir brauchen sind Regulierungen und schnell umsetzbare Maßnahmen seitens der Politik.“

Solange jeder seinen Alltag noch bequem und angenehm bestreiten kann, ist es für viele schwierig, sich die Konsequenzen und das Ausmaß der Probleme vorzustellen

Nachhaltigkeit zieht sich heute durch so viele gesellschaftliche Ebenen, dass wir uns natürlich fragen, wie das Jana, Vreni und Nina an die Thematik herangegangen sind und diese in einem Buch zusammengefasst haben. „Man kommt schnell von einem zum anderen“, beginnt Nina. „Der Verlag kam auf uns zu wegen eines Fair Fashion Guides. Wichtig war, dass es kein Einkaufsführer wird, sondern man auch das Potenzial von Mode in unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen aufzeigt: Klimapolitik, Menschenrechte, Teilhabe, Diversity, Inklusion, Empowerment, Gesellschaftspolitik. Unser Anspruch ist immer die kritische Auseinandersetzung mit der Mode und dem Spaß und der Lust an Mode zu verbinden.“ Bei allen Missständen darf also der Spaß an der Sache nicht verloren gehen. „Und das war die Idee und dann war es klar, wir wollen es anhand von Geschichten machen über Menschen, die mit ihrem Tun nicht nur ein Produkt schaffen ode auf Probleme aufmerksam machen, sondern die wirklich einen Paradigmenwechsel anstoßen“, sagt sie.

Das Besondere an nachhaltiger Mode und den Menschen, die sich dafür einsetzen, sind die erzählenswerten Geschichten. Der Grundstein für das Buch war also schnell gelegt. „Bei jedem der Gespräche sind wir sehr positiv und empowered rausgegangen.“ Man hat noch mehr Lust bekommen, etwas voranzutreiben und das Community-Gefühl zu stärken. Wir hoffen, dass mit dem Buch vermitteln zu können. Bei all den Problemen soll es nicht belehren, sondern im besten Fall dazu mobilisieren, die Dinge besser machen zu wollen“, sagt Nina.

Erste Schritte für eine bessere, nachhaltigere Zukunft

Und wie kann man es besser machen, ohne die Leute vor den Kopf zu stoßen? Schließlich ist nachhaltig Mode nicht immer günstig. Wenige können es sich leisten. Wir geben Nina Recht, wenn sie sagt, dass es ein Privileg ist, sich ohne Nachzudenken ein Kleid für 100 Euro zu kaufen. „Aber kannst du es wirklich verantworten, dir ein Kleidungsstück für viel Geld zu kaufen, wenn das Label es trotz großer Marge nicht schafft, seine Mitarbeiter ordentlich zu bezahlen? Ist das wirklich vertretbar?“, fragt Vreni. Sie fügt hinzu: „Wenn ich 500 Euro für etwas ausgebe, erwarte ich persönlich, dass es ordentlich produziert wird. Dafür gibt es keine Ausrede!“

Konsum ist eine Werteentscheidung, keine Frage. Wofür stehe ich? Welche Message möchte ich mit meinem Outfit und meinem Stil transportieren? „Es gibt aber eben genug Menschen, die können sich kein faires Kleidungsstück zu leisten. Um das zu verhindern, brauchen wir ein Gesetz, das Unternehmen dazu anhält, Sorgfaltspflicht zu tragen. Damit man nicht vor die Entscheidung gestellt wird: Kaufe ich fair und nachhaltig oder Fast Fashion?“

Die Fashion Changers sehen den persönlichen Konsum als eine von vielen Möglichkeiten, sich dem Thema zu nähern. Die große Verantwortung sehen sie aber schon in der Politik. Deswegen sind sie auch für das Gesetz – es kann ja nicht immer alles auf den Einzelnen abgewälzt werden. Wir sind also nicht für ein Gesetz, weil wir verhindern wollen, dass Leute mit weniger Geld Fast Fashion kaufen, sondern weil es eine politische Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass Unternehmen so wirtschaften, dass es für Mensch und Umwelt verträglich ist.

Wenn ich 500 Euro für etwas ausgebe, erwarte ich persönlich, dass es ordentlich produziert wird. Dafür gibt es keine Ausrede!

Und wie konsumiert ihr selber? Vreni war schon immer ein großer Vintage- und Secondhand-Fan. „Ich hatte den Drang, anders auszusehen, als die anderen. Natürlich hatte ich auch wenig Geld, wollte aber vor allem individuell sein. So viel richtig alte Vintage-Kleidung zu tragen, fanden viele damals komisch. Inzwischen ist das Image von Vintage wieder besser geworden. Meine Garderobe besteht heute zu etwa 70% aus Vintage-Mode. Der Rest stammt von nachhaltigen Labels. Es gab auch schon mal Ausnahmen, zum Beispiel bei Unterwäsche. Da ist es im nachhaltigen Bereich noch etwas schwierig, wird aber auch immer besser“, sagt sie.

Bei Nina war es früher genau das Gegenteil. „Ich habe als Kind aus finanziellen Gründen viel gebrauchte Kleidung tragen müssen und hatte deshalb lange Zeit negative Assoziationen mit Secondhand-Mode. Mir war es sehr wichtig, wie alle anderen auszusehen, weil es bedeutete, dass ich mir das auch leisten konnte. Secondhand-Mode tragen zu müssen, war mir unangenehm. Heute kaufe ich sehr viel differenzierter ein und mittlerweile kaufe ich auch gerne Secondhand oder Vintage.“

Was die Zukunft der Mode betrifft, ist es vor allem die jüngere Generation, die heute die Zügel in der Hand hält und Veränderungen bewirkt. Studierende, auch im Bereich Mode, beschäftigen sich intensiv mit Nachhaltigkeit. Sie versuchen, neue Konzepte zu finden und die Dinge anders; besser zu machen. „Wenn sie sich für das Thema interessieren, sollten sie von ihrer Universität eine Art Aktivismus einfordern. Das kann z.B. ein Kleidertausch sein oder die Möglichkeit, eine Podiumsdiskussion zu veranstalten“, findet Nina. Man kann sich irgendwann auch gar nicht mehr dagegen wehren. Nachhaltigkeit wird uns immer begleiten, davon sind beide Autorinnen überzeugt. „Irgendwann hat man auch mal gesagt, das Internet wird es bald nicht mehr geben“, lacht Vreni.

Mit ihrem Buch wollen sie vor allem die Menschen erreichen, die sich noch nicht großartig mit dem Thema auseinandergesetzt haben. „Wir haben versucht, es so vielschichtig wie möglich zu gestalten“, sagt Nina. Es ist also für jeden etwas dabei. „Uns geht es darum, Mode als Vehikel zu erkennen. Wenn wir Mode richtig und verantwortungsvoll nutzen, steht uns ein unglaubliches Tool für Veränderung zur Verfügung“ sagt sie.

3 Tipps für mehr Nachhaltigkeit von den Fashion Changers:

Geht verantwortungsvoller mit eurem Besitz (Lebensmittel, Kleidung usw.) um und überlegt euch, was braucht man wirklich? 

Überlegt euch eine andere Freizeitgestaltung, fernab von Konsum und Netflix. 

Setzt euch mit eurer Garderobe auseinander, pflegt eure Kleidung und repariert sie, wenn nötig.

Das Buch „Fashion Changers – Wie wir mit Mode die Welt verändern können“ könnt ihr hier shoppen

Bilder: Lena Scherer via Knesebeck Verlag.

 

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Journelles ist das grösste unabhängige Mode-Blogazine in Deutschland und wurde 2012 von Jessie Weiß gegründet. Die 37-jährige Unternehmerin legte 2007 den Grundstein für die Modeblogosphäre mit dem Netz-Urgestein LesMads und arbeitet seither als Journalistin, Moderatorin und Kreativdirektorin.