Das Designer-Kollektiv Vetements ist in aller Munde. Es gibt kaum eine Stylistin oder Modebloggerin, die im Rahmen der Fashion Week in den letzten Tagen nicht in einer recycelten Patchwork-Jeans, 500-Euro-Hoodie oder Blümchen-Kleid von Demna Gvasalia gesichtet wurde.
Den als radikal geltenden Designer als Nachfolger von Alexander Wang bei Balenciaga zu berufen, schien also schon im Vorfeld als Glücksgriff.
Aber würde er die großen Erwartungen erfüllen können und das Modehaus wieder zu dem machen, was es unter der Ägide seines Vorvorgängers Nicolas Ghesquière war, nämlich cool und innovativ? Die Antwort gab’s am Wochenende in Paris!
Sechs Monate hat Demna Gvasalia in den Archiven gewühlt, um der Version der modernen Frau in den Augen von Cristóbal Balenciaga auf die Spur zu kommen.
Das Ergebnis: Ziemlich gelungen und erfrischend! Was sofort auffällt, sind die Polster an Schultern und Hüfte, eine Hommage an die Haute Couture Balenciagas. Und: Es geht um Haltung. Die Frauen zeigen kein Dekolleté, dafür nackte Schultern.
Die Schuhe haben nach innen gerichtete Absätze oder kastige Plateausohlen, die Taschen wurden nach praktischen Gesichtspunkten entworfen (ein Modell erinnert an einen Werkzeugkasten, die großen Taschen sind für den Marktbesuch gedacht) und zieren derbe Absperrketten.
Für den ersten Look, ein graues Kostüm mit blickdichten Strumpfhosen und Franz-Beckenbauer-Brille, hielten alle Redakteure ihre Handy-Kameras gezückt:

Das ist mal ’ne Ansage, oder? Balenciaga steht für feinste Schneiderkunst und so fragte sich Demna Gvasalia vorab: „Wie überzeugt man eine Frau, die nicht die deutsche Kanzlerin ist, davon einen Anzug zu tragen?“
Der Verweis auf Angela Merkel kommt nicht von ungefähr. Demna Gvasalia hat georgische Wurzeln, wuchs aber in Düsseldorf auf, bevor er nach dem Modestudium in Antwerpen zu Martin Margiela ging und später Senior Designer bei Louis Vuitton wurde.
Für Balenciaga mixt er Couture und Sportswear, schickte die Models in Steghosen, Lacklederstiefeln unter karierten Kleidern und Daunen-Jacken mit Logo-Druck à la Helly Hansen auf den Laufsteg. Typisch Balenciaga ist der Strassschmuck an den Ohren und als Detail an den Schuhen. Die Lederjacken kommen als Biker- und Flieger-Version in Übergröße daher, außerdem gibt es lange Leder- und Pelzmäntel im Stil der Siebziger Jahre.

Wie schon in diesem Bericht angekündigt, spielt die boxy Silhouette in der nächsten Saison eine wichtige Rolle. Die Ära der Sanduhren-Figur und des Apfelpopos scheint vorerst vorüber. Selbst lila Glitzerstrick und Brillenketten sehen bei Demna Gvasalia, der seine Entwürfe übrigens alle niemals zeichnet, sondern drapiert, cool aus:

Das Motto für das Styling: Bloß nicht zu perfekt! Hemden blitzen raus, das Layering aus Hemd und Sweatshirtjacke ersetzt das Jackett.

Gerade wenn man glaubt Balenciaga 2016/2017 gesehen und verstanden zu haben, präsentiert Demna Gvasalia Patchwork-Blumenkleider mit Rüschen und Volants, sowie rot-weiße Strumpfhosen, die an Zuckerstangen oder Ed von Schleck erinnern.
Möglicher Kritikpunkt hier: Die Kleider erinnern stark an den Verkaufsschlager von Vetements. Aber was ist daran schlimm, wenn es darum geht, eine Kollektion profitabel zu machen, zumal florale Prints seitjeher auch zur DNA von Balenciaga gehören? Das ist einfach clever. „Die Herausforderung besteht darin, etwas zu entwerfen, das die Leute tragen wollen“, erklärte Gvasalia in einem Interview mit der Schweizer Modezeitschrift annabelle.
Mein persönlicher Favorit, weil er den Demna Gvasalia x Balenciaga Look auf den Punkt bringt:

Nur ein Foto reicht aber nicht aus. Ihr müsst euch das Video anschauen, um die Klamotten noch besser zu greifen.
Unser Fazit: Fett eingetütetes Debüt und weitaus wagemutiger als das, was Alexander Wang gemacht hat.
Unser Gefühl ist, dass die Mode nicht tot, sondern in Bewegung ist – das zeigt sich nicht nur an den strukturellen Veränderungen, siehe Burberry, sondern an einer neuen Ästhetik.
Könnte sein, dass wir gerade miterleben, wie der Look für die neuen Zwanziger Jahre (2020) entsteht, zumal es sich in den Medien gerade überall um Schlagwörter wie „Women’s Empowerment“ oder Kampagnen wie #banbossy dreht.
Zufall, dass die 1920er Jahre wegweisend für die Emanzipation der Frau waren? Wohl kaum!
(Fotos: Balenciaga)