Wenn man schon stundenlang über die Fashion Week in Berlin meckern möchte, wie es dieser Tage wieder viel getan wurde, dann doch bitte nicht über die Dinge, die offensichtlich sind. Dass die grossen Namen flöten gegangen sind. Dass nur Möchtegernsternchen in den Frontrows sitzen. Oder deutsche Designer international keine Anerkennung bekommen. Und überhaupt, dass die zwei Tage Verschiebung immer noch keinen bemerkenswerten Unterschied gemacht haben: die Modejournalisten blieben weiterhin bei der Haute Couture in Paris oder waren bei Valentino in Rom.
Ich finde, wenn wir schon meckern, dann doch bitte darüber, dass abgesehen von den klassischen Medien kein Schwein mehr ernsthaft über die die Mode spricht. Es zählen nur noch das schönste instagram-Foto, das beste Designeroutfit, der coole Dinner-Spot, Namedropping und Selfies oder Snapchats mit anderen tollen Menschen. Die Fashion Week ist vornehmlich für die Presse gemacht, aber wenn man die Feeds der meisten anwesenden Blogger durch scrollt, dann sieht man da selten mal eine Zeile zu den Runway-Looks, geschweige denn einen Bericht.
Damit die Mode in Deutschland langfristig wieder einen Stellenwert hat, müssen auch die Protgonisten ihren Blickwinkel ändern. In der Frontrow sitzen muss doch mehr Sinn ergeben, als nur ein Foto von diesem vermeintlichen Fame-Moment zu knipsen. Ich will auch von keinem Outfit-Blogger mehr hören, dass es hier ja keinen – Fauxpas!- Champagner gibt! Es geht nicht um das ultracoole Streetstyle-Foto, sondern um die Looks auf dem Laufsteg, wofür sich die Designer monatelang den Hintern aufgerissen haben.
Die Schönheit des Underdogs, ein Text von Mareike Nieberding im Zeitmagazin, trifft es auch auf einer anderen Ebene ganz gut: „Weg vom Kommerz, hin zur Kunst und zurück zum Handwerk. Denn die Fashion Week ist nur das sichtbarste Symptom der erkrankten deutschen Modebranche, in der es Investoren und Branchenvertreter bisher nicht geschafft haben, gute Leute rechtzeitig und nachhaltig zu fördern.“
Dafür gibt es nun das German Fashion Council, bei dem ab sofort auch Geld in die Hand genommen wird, um die deutschen Designtalente ernsthaft zu fördern. Marina Hoermanseder und Nobi Talai sind in diesem Jahr dran, ausserdem gibt es mit Huber Egloff vielversprechende Neuzugänge im Vogue Salon. Das Duo haben wir euch vergangenes Jahr vorgestellt.
Wie gut deutsche Mode ist, die sich auch noch verkauft, zeigt in dieser Woche allen voran Dorothee Schumacher. Die Mannheimerin hat sich von ihrem trutschigen Tanten-Look der letzten Jahre entfernt und nicht nur ihre Stores charmant eleganter gestaltet, sondern auch eine begehrenswerte Kollektion über den Laufsteg geschickt, die international mühelos mit einem Label wie Tibi mithalten kann. Wenn diese off-shoulder/cutout-Kleider mal kein Verkaufsschlager werden!
Neu auf dem Moderadar: William Fan, den wir hier besprochen haben, und Louise Friedländer.
Die Debütkollektion bei der Modewoche ist Friedländers vierte; nach ihrem Studium an der Esmod Berlin ging die gebürtige Kölnerin u.a. zu Capara nach Antwerpen und ist inzwischen selbstständig mit ihrem gleichnamigen Label. Handarbeit ist hier Programm: von den Schlappen, inspiriert von einer Reise in den Kongo, über die Handtaschen bis hin zum Schmuck ist jedes Detail selbst entwickelt. Mit den offenen Säumen, filigranen Fransen und traditionellen deutschen Webtextilien kann sich Louise sehen lassen: Das Ganze macht einen erwachsene, eleganten Eindruck. Irgendwo zwischen The Row und Céline lassen sich auch ihre Silhouetten einordnen.
Meine Modemüdigkeit vor der Fashion Week war genau richtig, um wieder ins Staunen zu kommen. Denn immer, wenn man denkt, dass nix Spannendes passiert, erlebt man eine Überraschung.
Lala Berlin, Perret Schaad, Malaikaraiss: alle drei Labels haben in meinen Augen nicht nur ihre jeweils stärksten Kollektionen seit Langem gezeigt, sondern auch ein professionelles Rundumsorglospaket geschnürt: Spannende Locations wie der Kronprinzenpalais, die Sophiensäle oder der Palais am Festungsgraben (kein Zelt, olé!) wurden gewählt, wofür auf üppige Goodiebags verzichtet wurde. Vielmehr ist das richtige Rahmenprogramm ein Zeichen von Qualität. Malaika Raiss bindet ihre Sponsoren charmant mit einem Eis- und Champagnerstand ein und lässt die Models wie auf einer gemütlichen Privatparty auch nach der Show durch die Meute ziehen; bei Lala Berlin wird direkt im Anschluss an langen Tafeln gespeist.
Mein inoffizielles Highlight, nachdem ich Freitagabend alle Parties geskippt habe? Underdressed und ausgeschlafen den KadeWe Pop-Up-Store des Berliner Modesalons im 300 qm grossen Eingangsatrium des liebsten Berliner Kaufhauses zu besuchen. Dort wurde zum Sektempfang geladen: Bis zum 22. August können dort nämlich die perfekt ausgewählten Kollektionen deutscher Designer geshoppt werden.
Das ist revolutionär, denn auf „normalem Weg“ schaffen es nur die wenigsten Jungdesigner in das berühmte Kaufhaus – und werden geschweige denn in den zehn prominenten Schaufenstern abgebildet. Mit dabei sind u.a. Perret Schaad, Isabell de Hillerin, Malaika Raiss, Marina Hoermanseder, Michael Sontag, Stiebich & Rieth, Talbot Runhof, The Medley Institute, Tim Labenda oder auch Vladimir Karaleev.
Da gibt’s ja nun wohl wirklich nix mehr zu meckern.
10 Antworten auf „Kein Gemecker mehr: Das sind die Highlights der Berliner Modewoche SS2016.“
Danke! Genau so habe ich das auch empfunden. Ich als Leserin wünsche mir
Informationen über die Designer und ihre neue Kollektionen und nicht darüber
wo es das beste Essen gab, die üppigste Goodiebag, wen man wann wo getroffen
hat etc. Dieses Jahr haben mich da – außer Journelles- eigentlich fast alle Blogs
ziemlich enttäuscht. LG Hannah
Hanna ohne h findet das auch!
Liebe Jessie, Du triffst den Nagel auf den Kopf. Ähnliches ging mir durch den Kopf. Ich saß auch bei der einen oder anderen eher „unpopulären“ Show und da war von den Bloggern nichts zu sehen. Aber weißt Du, wer da saß? Die Chefredakteurin der Elle z.B. oder deren Modechefin. Da ging es nicht um Selfies oder Coolness, sondern die haben ihre Arbeit getan. Das hat für mich einiges in die richtige Position gerückt. Als Leserin weiß ich zwar, welche Parties stattfanden und wer von wem ausgestattet wurde, aber tatsächliche Berichterstattung oder gar Modekritik fehlt mir. Aus der Frontrow wird teilweise gehypt bei Kollektionen, die das Prädikat gar nicht verdienen. Macht weiter so!
Danke für den tollen Text! Ich sehe das ganz genau so – und berichte gern über Modeschauen und Showrooms, obwohl es scheinbar niemanden mehr interessiert. Aber drauf gesch***, mich interessiert es zumindest mehr als das langweilige rumstehen und gesehen werden vor und nach den Shows.
Bei Rebekka Ruétz hat ein schrecklich overdressed-es Mädchen vor mir die ganze Show über versucht, das perfekte Selfie von sich und ihrer Frisur zu machen… da frage ich mich halt schon, warum die dort ist!?
Liebe Grüße
Sabrina
Hallo Jessie,
ich finde du solltest nicht alle Blogger über einen Kamm scheren. Mich interessieren zum Beispiel Null die Goodiebags oder das Jenny Elvers irgendwo in der Frontrow sitzt. Als Blogger musste man sich auch ordentlich auf den Hintern setzten um überhaupt zu den Designer zu landen um darüber zu berichten. Und dabei hat man keinen Fahrer oder sonst irgendeine Unterstützung. Wenn man nicht Fame genug ist wird man schnell einfach angerempelt weil ein „Outfit-Blogger“ mit Millionen Follower auf Instagram in der ersten Reihe sitzt und man schnell ein Foto machen muss.. Und Jessie, hast nicht auch du als „Blogger“ angefangen? Schimpf doch bitte nicht so auf DIE „Blogger“.
Sie „schimpft“ doch nicht auf die Blogger, sondern kritisiert deren Berichterstattung und der daraus falsch resultierten Wahrnehmung der Fashion Week. Dabei kommen dann beispielsweise Abkotzberichte vom VICE Magazin heraus, die wiederum die falsche Wahrnehmung verstärken und Vorurteile, sowie Schlüsse ziehen, die schlichtweg nicht ok sind. Somit werden die, die eigentlich im Mittelpunkt stehen sollten (nämlich die Mode und der Designer), in den Schatten gestellt und Nonsens berichtet. Das lenkt vom eigentlichen Thema ab und hilft nicht wirklich, dass sich lokale Designer weiter etablieren. Es wird schlichtweg auf die deutsche Mode geschimpft, weil ihr nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt und gesehen wird was sie neues leistet. Und vieles geht heute weg von Print über Blogs und wenn da keinerlei Berichterstattung zum Kernthema Mode stattfindet und ein falsches Bild vermittelt wird, dann darf man gut und gerne Kritik ausüben, da es einfach überwiegend passiert!
Word! Die Parties/After-Show-Parties gelten manchem mittlerweile als das wahre Highlight der Fashion Week. Sehr, sehr schade! Aber zum Glück gibt es euch!!
Katharina || ktinka.com
Ich hätte gern über die Schauen berichtet, in der ersten Reihe gesessen und mir die wunderbaren Kreationen angeschaut, für die sich Designer den Po abgearbeitet haben, doch man hätte mich nicht gelassen.
Ich sehe ein, dass ich für meine Blogger-Karriere arbeiten muss, doch ich muss erst „fame“ sein, um auf solche Events eingeladen zu werden.
Ich hätte gern über die Mode der #MBFW gesprochen, doch da ich zu unbedeutend bin, hatte ich keine Chance auf einen Einblick. Wenn diese Fame-Blogger mit Millionen Followern nicht immer in der front row säßen sondern mal die kleineren Lichter, würde man auch mehr Berichte über die eigentlichen Highlights der Modewoche bekommen.
Die unbedeutenderen sind es auch den Labels nicht wert, eingeladen zu werden. Vielleicht wäre ein wenig frischer Wind in den Reihen ein Weg zurück zur Kunst und weg vom Kommerz.
Liebste Grüße
Kali von Miss Bellis Perennis
Wie wahr, wie wahr… Dabei ist die deutsche Mode vieler Namen so hochwertig und handwerklich sowie ideentechnisch raffiniert umgesetzt, nur verschwindet es leider auf solchen Schauen im Schatten der Wannabe’s die sich in der Frontrow dabei abquälen das (!) Selfie des Jahrhunderts zu schießen. Dadurch dass ich immer Backstage arbeite (bin für Haarstyling der Models zuständig), sehe ich wie es hinter den Kulissen zu geht. Ich fasse auch gern mal die Teile an und begutachte sie aus der Nähe und bin immer beeindruckt wieviel Gedanken und Arbeit sich so manch Designer macht. Ich erlebe wie nervös sie und ihre Stylisten sind, ich sehe Freudentränen und totale Aufregung, wie sie zittern und bangen. Ich höre wie sie erzählen, dass sie bis zum Morgengrauen noch genäht und vorbereitet haben, um dann alles auf eine Karte zu setzen. 15 Minuten Aufmerksamkeit und die Achtung vor ihrer Arbeit. Schade dass das zu kurz kommt. Armani hat mal gesagt: Wenn die Deutschen ihre Mode so machen würden wie sie ihre Autos bauen…… Lieber Giorgio, vielleicht tun sie das ja längst.
Liebe Grüße
Arzu
[…] bisschen üble Nachrede und neue Koordinaten auf dem Modekompass. Jessie von Journelles resümiert hier wunderbar die überraschendsten, bemerkenswertesten und nervigsten Aussichten des großen […]